Schlussplädoyers im Kurz-Prozess stehen bevor

Der zweite Russe war als Zeuge aus Moskau zugeschaltet und sorgte für Wirbel in Sachen Übersetzung, Schmid widersprach per Videoschaltung.
Bereits eine Stunde früher als sonst mussten sich der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein einstiger Kabinettschef Bernhard Bonelli heute im Wiener Straflandesgericht einfinden. Der Zeitplan ist straff, will Richter Michael Radasztics doch am Ende der Verhandlung die Urteile für die beiden Angeklagten verkünden. Und zuvor steht noch die Befragung zweier Zeugen an.
„Dann auf nach Moskau“
„Dann auf nach Moskau“ erklärt der Richter kurz nach Verhandlungsbeginn. Dort hat sich der zweite russische Geschäftsmann in der österreichischen Botschaft eingefunden, der von einem Bewerbungsgespräch mit Hauptbelastungszeuge Thomas Schmid berichten soll. In einer eidesstattlichen Erklärung hatte dieser berichtet, dass Schmid über Druck der Staatsanwaltschaft und mögliche unwahre Aussagen gesprochen habe. Am letzten Verhandlungstag hatte sich der Zeuge spontan krankgemeldet, die Aussagen seines Geschäftspartners warfen jedoch viele Fragen auf.
Mittels Übersetzer wird der ernst in die Kamera blickende Mann, Herr A., befragt. Er bestätigt, dass er Schmid (gemeinsam mit den anderen russischen Zeugen) in Amsterdam getroffen habe, um über eine „Top-Management-Position“ für ein Geschäftsprojekt in Georgien zu sprechen. Man habe Schmid dann auf die medialen Berichte zu Ermittlungen gegen ihn angesprochen, dieser habe angegeben, dass er deshalb nach Amsterdam ausgewandert sei, weil ihm die Ermittlungen „sein Leben in Österreich nicht ganz komfortabel machen“ würden. Er habe sich dort „nicht mehr wohl“ gefühlt, das habe mit Druck der Staatsanwaltschaft zu tun gehabt. Zudem habe er dort gegen seine früheren Kollegen aussagen müssen. Er habe auch den Namen Kurz erwähnt und angegeben, dass er ihn persönlich kenne.

Nicht der richtige Kandidat
Man könne Schmids Aussagen so interpretieren, dass es wohl „gewisse Erwartungen“ seitens der Anklage gegeben habe, zu der er sich wohl loyal verhalten habe. Das könne man „zwischen den Zeilen lesen“, sagt der Zeuge. Man sei jedenfalls zum Schluss gekommen, dass er „doch nicht der richtige Kandidat“ für das Projekt gewesen sei. Er habe jedenfalls den Eindruck gehabt, dass Schmid „sehr daran interessiert war, diesen Deal zu machen“, weil er sich von einer Kooperation erhofft habe, „dass die Probleme dann beseitigt werden“.
Dann wechselt der Richter auf Englisch und will, dass der Zeuge Schmids Worte genau nacherzählt, da die Konversation damals auf Englisch stattgefunden habe. Er wiederholt, dass dieser „Druck von der Staatsanwaltschaft gespürt habe“ und sich Besserung seiner Situation durch Kooperation erhofft habe. Doch auch auf erneute Nachfrage des Richters kann der Zeuge nicht berichten, dass Schmid klar von falschen Aussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft gesprochen habe. Er nehme dies an durch dessen Aussagen und er habe den Eindruck, dass Schmid alles dafür tun wolle, um „aus der Sache wieder herauszukommen“.
Erklärung fertig vorgelegt
Als der Richter wissen will, wie es zur eidesstattlichen Erklärung gekommen ist, die Herr A. im georgischen Tiflis abgegeben hat, berichtet dieser, dass ihn der andere Russe „gebeten“ habe, die Erklärung abzugeben. Er habe alles dann sorgfältig durchgelesen und er habe es als „moralische und menschliche Pflicht“ gesehen, alles zu tun, damit der Ruf seines Unternehmens nicht geschädigt werde.
Er habe die Erklärung also nicht selbst geschrieben, sondern sie wurde ihm von anderen Zeugen fertig vorgelegt und er hat nur unterschrieben, will der Richter wissen? Die beiden Staatsanwälte im Gerichtssaal schütteln amüsiert den Kopf. Zur Erinnerung: Der andere Zeuge hatte angegeben, dass ihm Kurz-Anwalt Otto Dietrich beim Verfassen seiner Erklärung geholfen habe. „Ja, es war so“, sagt der Zeuge, er wisse aber nicht, von wem seinem Geschäftspartner das Dokument angeboten worden sei. Er habe jedenfalls sein Unternehmen schützen wollen.

APA/HELMUT FOHRINGER
Staatsanwalt Georg Adamovic will nun vom Zeugen wissen, warum er eine Erklärung unterschreibt, in der steht, dass Schmid von Druck gesprochen habe, heute jedoch nur von einem entsprechenden Eindruck spricht. Aufgrund seines Alters und seines Berufes könne er sehr wohl erkennen, wenn jemand die Wahrheit sagt bzw. was jemand „zwischen den Zeilen“ sage.
Verwirrung um Übersetzungen
Dann Wirbel um den Übersetzer: Kurz-Anwalt Dietrich beklagt, dass nicht ausreichend übersetzt wurde – es stellt sich heraus, dass er eine eigene Dolmetscherin in den Saal mitgebracht hat. Erneut wird versucht, den Zeugen auf den Widerspruch zwischen „Schmid sagte“ und „wir hatten den Eindruck“ anzusprechen. A. wiederholt, dass er zwischen den Zeilen lesen könne. Kurz wirkt aufgebracht, berät sich immer wieder mit seinem Anwalt. Schmid habe zwar alles „blumig“ ausgedrückt, aber daraus habe er geschlossen, dass Schmid unbedingt einen Deal angestrebt habe. Er sieht keinen Widerspruch. Zu weiteren interviewten Kandidaten will der Zeuge nichts sagen – Geschäftsgeheimnis.
Wieder Verwirrung um die Übersetzung, der Richter holt Anwalt Dietrich neben sich auf die Richterbank, um Fragen auf Englisch zu stellen, „sonst sind wir Lost in Translation“, sagt Radasztics. Ja, Schmid habe von Druck der Staatsanwaltschaft gesprochen, wiederholt der Zeuge, Schmid habe auch versichert, dass man sich um ihn keine Sorgen machen müsse. Und ja, die Angaben in seiner Erklärung decken sich mit seinen Erinnerungen an das Gespräch. Nach zwei Stunden wird der Zeuge entlassen und dem Saal in Wien eine kurze Pause gegönnt.
Empfehlung eines Bankers
Nach einer kurzen Pause geht es weiter mit der Befragung von Schmid, der via Zoom zugeschaltet ist und im Anzug vor seinem Laptop sitzt. Er berichtet, dass er über die Empfehlung eines Bankers aus London auf das Jobangebot der Geschäftsmänner gekommen sei. Dieser habe dann seine Kontakte weitergeben, daraufhin habe sich Zeuge V. bei ihm „sehr schnell gemeldet“, der auch „sehr, sehr schnell“ ein Treffen wollte. Das Gespräch sei „freundlich“ gewesen, aber unkonkret, was Details zum Projekt betroffen habe. Bei einem weiteren Treffen am Folgetag seien beide Geschäftsmänner anwesend gewesen, „über Inhalte ist einfach nicht gesprochen worden“.
Er habe damals berichtet, dass er dank politischer Debatten und aus privaten Gründen ins Ausland gegangen sei, „ich bin ja ein offenes Buch, über mich ist viel geschrieben worden“, damit sei er auch offen umgegangen. V. habe ihn das gefragt, ob sie (also wohl die Anklage) zu ihm gekommen sei oder er zu ihnen. Er habe das nicht ganz verstanden und schlicht angegeben, dass er kooperiere. Zudem sei Geschäftsmann A. „in meiner Erinnerung ständig weg und am Telefon gewesen“. Er habe auch keine Fragen gestellt. „In meiner Erinnerung ist nicht über das Verfahren geredet worden.“

APA/HELMUT FOHRINGER
Kein Druck ausgeübt
Und dann wird Schmid klar: „Die Staatsanwaltschaft hat in keiner Situation Druck auf mich ausgeübt“, das habe er bei den Russen auch nicht angegeben. „Wenn, dann habe ich Druck auf die Staatsanwaltschaft ausgeübt“, da er kooperieren wollte. Er schließe auch aus, dass er laut Russen gesagt habe, dass er gut zu jenen sei, die gut zu ihm sind. Kurz könne er zwar erwähnt haben, aber keine Details zu den Verfahren. „Diese Herren haben die Unwahrheit gesagt“, sagt Schmid. Warum das so ist, könne er nicht erklären, aber mutmaßen, wenn man bedenke, wer diese als Zeugen vorgebracht habe, sagt er.
Dietrich ist mit seinen Fragen an der Reihe und will Details zu dessen Lebenslauf wissen, den Schmid damals den Russen zukommen hat lassen. Von der Jobabsage habe er wohl über WhatsApp von Zeuge V. erfahren, er könne sich jedoch nicht genau erinnern. Bonelli-Anwalt Werner Suppan will im Anschluss erneut Details zu russischen Nummern wissen, die Schmid angeblich in Job-Unterlagen gefunden habe. Dieser kann jedoch keine liefern. Kurz zeigt sich auch während Schmids Angaben immer wieder verärgert, gestikuliert, schüttelt den Kopf. Dann schweift man weit ab zu anderen Themen, um Schmids Glaubwürdigkeit zu prüfen. Unter anderem geht es um die Themen Staatsfonds und B&C-Stiftung. Dann ist auch Schmid entlassen und verabschiedet sich in die Laptopkamera.

APA/HELMUT FOHRINGER
WKStA zieht Antrag zurück
Dann kurzes Murmeln im Saal: Die WKStA beantragt Kurz-Anwalt Dietrich als Zeuge, um seine Rolle in den eidesstattlichen Erklärungen der beiden Russen zu klären. Der Angesprochene spricht sich dagegen aus, „mangels Relevanz und Durchführbarkeit“. Aus „Kollegenkreisen“ habe er von einer Mail erfahren zwischen den beiden russischen Zeugen, wonach er den Aussagen der beiden zu Schmid nachgehen wollte – für die Verteidigung seines Mandanten. Es gebe kein Gesetz, das dieses Nachgehen eines möglichen Hinweises untersage. Es sei auch unmöglich, weil ihm als Anwalt Verschwiegenheit zustehe, „daher werde ich auch nicht aussagen“. Daraufhin zieht die WKStA ihren Antrag zurück, nun habe Dietrich Klarheit geschaffen.
Dann meldet sich Kurz erneut mit einer Stellungnahme zu Schmids Aussagen zu Wort. Dass „Menschen immer wieder ihre eigenen Interessen verfolgen“, habe man in der Bestellung der Öbag gesehen. Auch andere hätten Ideen für die Staatsholding gehabt. Er habe auch das Gefühl, es gehe um ganz genaue Formulierungen, die „vier, fünf Jahre“ her seien. Dass Schmid bei seinem CV von einer „Schlamperei“ gesprochen habe, sei wenig nachvollziehbar. Vor der Mittagspause will der Richter im Anschluss klären, was verlesen werden soll. Wieder wird um die Miteinbeziehung von Chats gestritten, der Richter will die betroffenen Nachrichten trotzdem vor Urteilsverkündung verlesen.
Urteilsverkündung in Sicht
Nach der Mittagspause geht es weiter mit Verlesungen, das wird jetzt etwas trockener. Es geht um Ordnungsnummern und Chats. Die ohnehin gut gefüllten Reihen im Gericht werden voller, laut Zeitplan stehen vor einer Urteilsverkündung jedoch noch die Plädoyers von Anklage und Verteidigung und etwaige Abschlussstatements. Der Richter arbeitet dicke Ordner und in rosa Mappen gehaltene Papierstapel durch und reicht diese weiter.
Schmid wird – wohl auch digital, weil er im Ausland lebt – zu Details des angeblichen Treffens in Amsterdam befragt werden. Mit einem Urteil ist damit wohl erst in den späten Nachmittag- bis Abendstunden zu rechnen.
Wie auch immer die Urteile ausfallen, endgültig ausgestanden dürfte die Sache damit noch länger nicht sein. Nachdem in diesem Verfahren ein Einzelrichter die Urteile spricht, stehen Anklage wie Verteidigung mehrere Rechtsmittel offen. Berufen werden kann beispielsweise wegen Nichtigkeit, wenn Verfahrensfehler oder unzulässig abgewiesene Beweisanträge vermutet werden. Bei Berufung wegen Strafe geht es um die Strafhöhe und auch eine wegen Schuld ist in diesem Fall möglich. Dieser liegt die Vermutung zugrunde, dass der Richter einem Zeugen nicht ausreichend geglaubt haben könnte. Der Fall würde damit zum Oberlandesgericht Wien wandern.