Politik

“Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, ist dumm von der ÖVP”

20.08.2024 • 18:08 Uhr
"Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, ist dumm von der ÖVP"
Beate Meinl-Reisinger war im Rahmen des Wahlkampf-Auftakts der Neos zu Gast in Vorarlberg. Stiplovsek

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger kontert im NEUE-Interview der Kritik an der Wiener Bildungspolitik, stellt Bedingungen für eine Koalition und erklärt, warum die S 18 zum Kulturkampf wird.

Zu Beginn ein Blick in die Vergangenheit: Sie waren 2012 bei der Gründung der Neos mit dabei. Inwiefern hat sich die Partei seit ihren Anfängen geändert oder ist gleichgeblieben?

Beate Meinl-Reisinger: Was gleichgeblieben ist: Der Wille und die Leidenschaft für Reformen. Wenn wir die Neos damals nicht gegründet hätten, müssten wir es jetzt tun. In Österreich sind so viele Systeme – gerade im Bildungs- und Gesundheitsbereich – verkrustet, teuer und ineffizient. Sie bringen nicht mehr die Ergebnisse, die sich die Leute für das viele Steuergeld verdienen. Da haben es sich einige bequem gemacht, insbesondere aus dem ÖVP- und SPÖ-Umfeld. Auch das Thema saubere Politik beschäftigt uns immer noch sehr. Was sich geändert hat: Wir sind enorm gewachsen und dadurch auch professioneller geworden und sind als einzig unverbrauchte und unabhängige Kraft bereit, Reformen umzusetzen.

Eine Gemeinsamkeit zu früher ist der Wunsch nach einer Regierungsbeteiligung. Schon auf dem Gründungskonvent der Neos 2012 strebte Ihr Vorgänger Matthias Strolz an: „Wir wollen in die nächste Regierung.“ Diesen Wunsch äußerten Sie auch dieses Jahr. Warum soll zwölf Jahre später nun der Sprung in die Regierung endlich gelingen?

Meinl-Reisinger: Wir wollen nicht in eine Regierung, wir sind bereit dazu. Es geht nicht darum, was ich will, wir sind kein Selbstzweck. Die entscheidende Frage ist, ob es nach der Wahl gelingt, eine Reformkoalition zu bilden. Da haben wir eine wichtige Rolle, als Stachel im Fleisch und mit der nötigen Energie.

"Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, ist dumm von der ÖVP"
Laut Meinl-Reisinger sind die Neos “bereit” für die Regierung – aber nicht ohne Bedingungen. Stiplovsek

Ende Juli wurde berichtet, ÖVP und SPÖ hätten sich bereits auf eine Koalition mit den Neos geeinigt. Sind rot und türkis auch für Sie die bevorzugten Koalitionspartner?

Meinl-Reisinger: Ich fand das damals reichlich skurril. Entweder ist es ein Blödsinn – wieso sollten die reden und die FPÖ erfährt zuerst davon? Oder es ist wahr und mit uns hat niemand gesprochen. Dann ist es wieder der typische, alte Stil. So wird es das mit uns nicht spielen. Wir wollen nichts hinter verschlossenen Türen, wir wollen Reformen – und ohne Reformagenda gibt es auch keine Koalitionsbeteiligung von uns. Die entscheidende Frage ist: Wer ist bereit, das zu machen? Ich kann Ihnen garantieren, die FPÖ nicht. Die lebt nicht davon, dass sie liefert, sondern nur erzählt, und das Ganze in einem sehr schlechten Stil. Mit der FPÖ wollen wir nicht koalieren, weil wir bei einigen Themen, allen voran europapolitisch, ganz anders ticken.

Schließen Sie, abgesehen von der FPÖ, weitere Koalitionspartner aus?

Meinl-Reisinger: Nein. Mir tut das an sich weh, weil eigentlich muss man in einer Demokratie mit jedem zusammenarbeiten können und in Sachfragen tun wir das auch mit der FPÖ. Aber es wird zunehmend schwierig, weil ich nur noch Beschimpfungen, Beleidigungen, und einen unerträglichen Populismus höre. Jetzt will die FPÖ ein neues Wirtschaftsprogramm vorlegen. Das ist mutig, weil all das, was sie in den letzten Monaten gesagt hat – die Festung Österreich, ein „Öxit“ oder staatliche Preisdeckel – ist der direkte Weg in die Armut. Da sehe ich keine Wirtschaftskompetenz. Und die FPÖ hat schon oft genug bewiesen, dass sie nicht regierungsfähig ist. Immer wieder das Gleiche zu tun und dann andere Ergebnisse zu erwarten, ist halt auch ein bisschen dumm von der ÖVP, die offenbar aber nur darauf wartet, mit der FPÖ sofort wieder zu koalieren, davon bin ich überzeugt.

"Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, ist dumm von der ÖVP"
Keine Lust auf eine Koalition mit der FPÖ: Beate Meinl-Reisinger. Stiplovsek

Welche Ressorts wären für Sie bei einer Regierungsbeteiligung unumgänglich? Das Bildungs- und das Finanzministerium kämen einem unweigerlich in den Sinn.

Meinl-Reisinger: Ich freue mich, dass uns Kompetenzen im Bildungs-, Finanz- und Wirtschaftsbereich zugeschrieben werden. Aber es geht nicht darum, welche Ressorts wir anstreben. Wir wollen eine Reformagenda, eine radikale Bürokratiebremse, eine Bildungsreform und auch den Kampf gegen Korruption. Dafür haben wir Reformgruppen gestartet, um einen konkreten Plan zu haben, was wir umsetzen.

In Vorarlberg fordern die Neos, dass „unnötige und ineffiziente“ Landesförderungen abgeschafft werden sollen. Nach welchen Kriterien kann man bewerten, ob eine Förderung nötig oder unnötig ist?

Meinl-Reisinger: Nach der Wirkungsorientierung. An sich muss jeder Cent, der in Österreich von der öffentlichen Hand ausgegeben wird, überprüft werden. Hat das Geld die gewünschte Wirkung oder ist es eine Gießkanne, weil ich mit dem Rücken zur Wand stehe und Angst vor dem Wähler habe? Und das wird aktuell nicht gemacht. Wir brauchen eine strenge Ausgabenbremse.

"Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, ist dumm von der ÖVP"
Die NEUE traf Beate Meinl-Reisinger im Neos-Hauptquartier in Bregenz zum Interview. Stiplovsek

Trotz Verkürzung der Studienzeit kommt das Bildungssystem nicht ohne Quereinsteiger aus. Wie will man angehende Lehrer von einem fünfjährigen Studium überzeugen, wenn Quereinsteiger ohne solches unterrichten dürfen?

Meinl-Reisinger: Ich verstehe die Bedenken, trotzdem bin ich der Meinung, dass an sich die Idee eine richtige ist. Die Frage ist nur, wie die Zusammenarbeit zwischen funktioniert und wie sehr die Lehrerinnen und Lehrer sich wergeschätzt fühlen. Eine der ersten Maßnahmen, die wir in der Regierung machen werden, ist, 20.000 zusätzliche Pädagoginnen und Pädagogen auszubilden und einzustellen.

Sprechen Sie von voll ausgebildeten Lehrkräften oder sind Quereinsteiger mit einberechnet?

Meinl-Reisinger: In unserem Plan sind durchaus Quereinsteiger vorgesehen, aber grundsätzlich liegt der Fokus auf ausgebildeten Pädagoginnen und Pädagogen.

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Die Neos wollen eine Ausbildungsoffensive bei Pädagogen starten. Stiplovsek

Letzte Woche wurde der Wiener Vize-Bürgermeister Christoph Wiederkehr nach Bregenz eingeladen, um mit dem „Wiener Bildungsversprechen“ und dem Ausbau der Ganztagesschulen für eine pinke Bildungspolitik in Vorarlberg zu werben. Ist Wien angesichts mangelnder Deutschkenntnisse zahlreicher Schüler und Platzmangel an Schulen wirklich ein Vorbild in der Bildungspolitik?

Meinl-Reisinger: Ja, sicher. Die Herausforderungen, die Wien und auch Christoph Wiederkehr in den letzten Jahren gestemmt hat, gibt es in allen Ballungsgebieten. Integration ist auch in Vorarlberg ein Thema. Beim Wiener Bildungsversprechen geht es um eine Schulqualitäts-Offensive, weil Qualitätsentwicklung am Standort gepaart mit viel Schulautonomie der Schlüssel ist. Und das kriegen unsere Bildungsdirektionen offensichtlich nicht gut auf die Reihe. Und da kann man natürlich von Wien lernen. Die enormen Herausforderungen der Integration machen die Situation in Wien nicht leichter, aber das ist nicht die Schuld des Herrn Wiederkehr. Das ist ein Ergebnis des Wegschauens bei der Integrationspolitik – vor allem auf Bundesebene.

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Norbert Sieber (ÖVP) kritisierte, Wien solle umgekehrt von der Vorarlberger Bildungspolitik in puncto Deutschförderung lernen.

Meinl-Reisinger: Wenn es hier ein besonders gutes Konzept für Deutschförderung im Unterricht gibt, warum denn nicht? Dann lernt gern auch Wien von Vorarlberg. Ich glaube nur, dem Herrn Sieber geht es nicht darum, die Qualität des Deutschförderunterrichts zu verbessern, sondern Wien wieder eins auszuwischen oder uns eine reinzuhauen. Das ist genau diese Politik, die alle Menschen schon ankotzt, in der es nur noch darum geht, den anderen schlecht zu reden. Ich glaube aber nicht, dass Vorarlberg diese Herausforderungen hat wie Wien. Derzeit kommen 300-400 Kinder neu über Familiennachzug nach Wien. Christoph Wiederkehr muss jeden Monat 14 neue Schulklassen eröffnen. Ich denke, Herr Sieber weiß nicht, wovon er redet.

"Immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten, ist dumm von der ÖVP"
Meinl-Reisinger kontert der Kritik an der Wiener Bildungspolitik. Stiplovsek

Sie plädierten beim Thema Einwanderung für eine schärfere Linie in der Migration und Abkommen mit Drittländern. Ist das Taktik, um im Wählerkreis von ÖVP und FPÖ zu punkten?

Meinl-Reisinger: Nein, das ist keine Taktik, weil ich davon überzeugt bin, dass die Politik zu viel herum taktiert und zu wenig Lösungen anbietet. Wir haben, wie so viele Menschen in Österreich, ein Stück weit unsere Haltung verändert. Das heißt nicht, dass wir die Menschenrechtskonvention in Frage stellen, wie das von FPÖ und ÖVP gemacht wurde. Menschen, die in Not sind, muss man helfen, aber wir werden nicht alle aufnehmen können in Europa. Darum braucht man ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene. Es ist richtig, dass man an den Außengrenzen schnelle Verfahren macht und dann jene rasch wieder rückführt, die keinen Asylgrund haben. Wir müssen auch mit den Herkunftsländern stärker in eine Kooperation gehen. Ich habe den Eindruck, viele sagen jahrelang, das könne man nicht ansprechen, denn das helfe nur der FPÖ. Das ist nicht mein Zugang.

Sondern?

Meinl-Reisinger: Man muss diese Probleme lösen. Das ist nicht leicht. Und ich glaube, dass wir uns abseits von völlig kindischen, peinlichen Leitkulturdebatten sehr wohl fragen müssen, was unsere gemeinsame Wertebasis ist. Die sieht nämlich so aus, dass jeder und jede so leben kann, wie er oder sie das möchte, dass wir diese Pluralität und Offenheit behalten müssen. Diese Werte sollten auch in Kindergärten und Schulen gelehrt werden.

Zur Corona-Zeit haben Sie im Nationalrat für die Impfpflicht gestimmt. Vier Neos-Abgeordnete, darunter Gerald Loacker, haben dagegen gestimmt. Loacker sprach im Interview mit dem „Standard“ sogar vom politisch schwersten Fehler der Neos. Würden Sie rückblickend bei der Impfpflicht anders handeln, anders abstimmen?

Meinl-Reisinger: Nein, würde ich nicht, weil ich damals genau das Gleiche gesagt habe wie jetzt. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, die wir getroffen haben für den Fall, dass das Virus mutiert und wir wieder mit einer Welle von so schweren Fällen konfrontiert sind. Ich glaube, es war gut, dass wir am Verhandlungstisch gesessen sind. Gerald (Loacker, Anm. d. Red.) hat am Anfang gleich gesagt, er stimmt nicht zu. Das ist auch völlig okay, aber damit nimmt man sich aus dem Spiel und kann nicht mehr verhandeln. Wir haben am Verhandlungstisch noch sehr viel erreicht, zum Beispiel, die Kinder und Jugendlichen aus der Impfpflicht herauszunehmen.

Initiator Eugen Schneider
Die Neos wollen das Verkehrsproblem in Lustenau gemeinschaftlich lösen. Hartinger

In Vorarlberg ist die S 18 großes Thema, nachdem sich Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) für eine niederrangige Lösung ausgesprochen hat. Die Neos haben sich als einzige Oppositionspartei offen für den Vorschlag der Verkehrsministerin gezeigt. Welchen Blick haben Sie von Wien aus auf die Debatte rund um die S 18?

Meinl-Reisinger: Solche Debatten verkommen zunehmend zum Kulturkampf und werden nur zur Profilierung und Abgrenzung genutzt. Das haben die Menschen nicht verdient. Sollen sie bis 2040 warten, bis endlich eine Lösung da ist? Es geht der ÖVP und den Grünen nur noch darum, sich abzugrenzen, anstatt dass man das gemeinsam versucht. Darum auch unser konstruktiver Zugang.