Sport

Über einen, der kein Held sein will

01.06.2021 • 11:36 Uhr
Über einen, der kein Held sein will
Marco Rossi beim Herz-Belastungstest im Olympiazentrum. Philipp Steurer

Marco Rossi ist nach seiner Langzeit-Covid-Erkrankung wieder völlig gesund Ein Blick zurück auf seine Leidenszeit.

Als Hochleistungssportler will, ja darf man für gewöhnlich eigentlich keine Schwächen zeigen. Erst recht keine körperlichen. Es gilt, das Bild des Unverwundbaren zu zeichnen, dem nichts anhaben kann. Kein Schlag. Kein Foul. Kein Sturz. Es kommt nicht von ungefähr, dass sportliche Höchstleistungen oft das Attribut „heroisch“ tragen oder von Sporthelden die Rede ist. Denn das Wort „Held“ oder eben „Hero“ geht auf eine altgriechische Bezeichnung für Gestalten mit halbgöttlicher Herkunft zurück. Schwächen passen nicht in diese heroische Welt. Der Gegner, die Gegenspieler sollen nichts vom geschwollenen Knöchel oder der Sehnenreizung wissen, nichts vom Bluterguss am Oberschenkel oder von dem Cut an der Schulter. Gerade in einem Kontaktsport wie Eishockey. Weil die Gegner diese Schwachstellen für sich nützen würden. Das ist zwar wenig heldenhaft, aber im Sport ist ja auch oft von „Schlachten“ die Rede.
Marco Rossi pfeift darauf, das Bild des Unverwüstlichen zu vermitteln. Er pfeift darauf zu verheimlichen, wie schwerwiegend das Post-Covid-Syndrom bei ihm war. Rossi wird vielmehr ganz emotional, wenn er am Familienesstisch in Rankweil davon erzählt, dass er bei der U20-WM in Kanada sein Glück bis aufs Letzte ausreizte; ohne es zu ahnen. „Jeder Wechsel hätte das Ende bedeuten können, ich hätte auf dem Eis sterben können.“ Als er diese Offenbarung macht, zittert seine Stimme. Der 19-Jährige hat Tränen in den Augen. Und jeder mag es ihm nachfühlen. Denn es sind Worte, die einen auch als Außenstehenden regelrecht auf die Bretter schicken.

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Rossi im stellenweise sehr emotionalen und berührenden NEUE-Gespräch. Klaus Hartinger

Alles war anders

Begonnen hatte Rossis Leidensweg im Herbst in Zürich, wo er sich beim ZSC Spielpraxis für das Trainings­camp bei Minnesota Wild holen wollte. Mitte November schnappte er das Coronavirus auf, musste zehn Tage in Quarantäne. Danach schien alles wieder gut, der Center reiste wie geplant zur U20-WM nach Edmonton. Doch der Schein trügte. „Bei meiner Rückkehr auf das Eis war nichts mehr wie davor“, lässt Rossi tief blicken. „Ich war müde und habe mich nicht gut gefühlt. Ich dachte, das kommt daher, dass ich während der Quarantäne nur zu Hause rumliegen konnte, ich dachte wirklich, ich hätte einfach nur meinen Rhythmus verloren.“ Schließlich galt Rossi als genesen und einsatzbereit. Doch sein Zustand besserte sich nicht. „Als ich auch nach zwei, drei Wochen immer noch ständig müde war, fragte ich mich, wie lange das noch so weitergeht. Es gab keine einzige Sekunde am Tag, an dem ich mich frisch fühlte. Ich bin einer, der nach dem Training am Eis bleibt, normalerweise nütze ich jede Chance auf mehr Eiszeit.“ In Edmonton war alles anders. „Ich war nach jeder Einheit völlig am Ende und konnte kein einziges freies Training mitmachen. Ich musste immer sofort aufs Zimmer.“

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Rossi kam bei der U20-WM in Edmonton nie richtig in Schwung. Mittlerweile ist längst klar, warum: Der Oberländer litt an Langzeit-Covid, das auf sein Herz schlug. AP

Hinterher ist man immer Schlauer
Rückblickend waren das alles Alarmzeichen, doch Rossi galt ja eben als spielfit und dachte weiterhin, das seien die Nachwirkungen der Quarantäne-bedingten Trainingspause. Zumal ihn trotz allem die Vorfreude auf die WM trug. Er wollte dem österreichischen Team dabei helfen, gegen die Top-Nationen eine gute Figur abzugeben, wollte als Leader vorangehen.
Stattdessen fehlte es dem Oberländer bei der U20-WM augenscheinlich an der Dynamik. „Auf dem Eis denkst du nicht darüber nach, warum du nicht ins Spielen kommst. Du versuchst einfach nur, immer das Beste aus dir rauszuholen“, verdeutlicht Rossi und bringt es auf den Punkt, wenn er offenbart: „Nach 20 Sekunden auf dem Eis war ich völlig am Ende.“ Nun wäre es ein Leichtes für ihn, dem österreichischen Nationalteam und vor allem den medizinischen Betreuern beim ÖEHV einen Vorwurf zu machen.
Doch Rossi macht keine Schuldzuweisungen. „Ich bin weder dem ZSC noch dem Nationalteam böse. Hinterher mag es logisch klingen, dass da was nicht stimmte – hinterher kann man natürlich behaupten, dass da irgendwer, auch ich selbst, reagieren hätte müssen; aber: Hinterher ist man immer schlauer. Das Virus ist so neu. Wir haben alle keine Erfahrung im Umgang mit Corona. Nein, es geht nicht darum, jemandem die Schuld zu geben.“

Mutmacher Vanek

Nach der WM reiste Rossi nach Minnesota weiter, wo er am 10. Jänner ins Mannschaftstraining hätte einsteigen sollen. Am Tag davor absolvierte Rossi einen obligatorischen Standardtest, bei dem unter anderem die Blutwerte kontrolliert wurden. Zweifel an seiner Einsatzfähigkeit hatte der als Neunter gedraftete Linksschütze keine. „Ich war euphorisch, aufgeregt, dachte nur an das erste Training, daran, dass nach zwei Trainings schon das erste NHL-Spiel ansteht. “
Doch die Auswertung ergab einen unerklärbaren Blutwert, Rossi musste den Test wiederholen – machte sich aber weiterhin keine Sorgen. Als der zweite Test die schlechten Werte bestätigte, begann ein ­Untersuchungs-Marathon für den Eishockeycrack. „In den zwei, drei Wochen danach habe ich mehr Untersuchungen absolviert als in meinem ganzen Leben davor.“ Rossi hatte das Glück, dass er in jener Zeit bei Thomas Vanek wohnte. „Er und seine Familie haben mir so viel abgenommen, mich so großartig unterstützt. Sie haben mich vom Krankenhaus abgeholt, gingen zur Apotheke für mich, machten mir immer wieder Mut. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie ich das alles ohne die Vaneks hätte schaffen sollen. Ich bin der Familie so dankbar, dass sie für mich da waren. Denn nachdem ich die Diagnose erhalten hatte, bin ich in ein Loch gefallen.“

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In dieser Arena, dem Xcel Energy Center in Saint Paul, wird Spielmacher Marco Rossi ab Herbst für Minnesota Wild auf Torejagd gehen in der NHL. Gepa, AP

Heimreise

Rossi litt an Langzeit-Covid, das auf sein Herz schlug. Die behandelnden Ärzte in Minnesota waren es auch, die Rossi offenbarten, dass er auf dem Eis tot zusammenbrechen hätte können. Da fehlen einem die Worte. Es folgten vier Monate, in denen Rossi zum Nichtstun gezwungen war. Minnesota Wild willigte verständnisvoll ein, dass der 19-Jährige zurück nach Vorarl­berg zu seiner Familie durfte, wo im Kreis seiner Liebsten viel Fürsorge auf ihn wartete.
Der tägliche Spaziergang zählte zu den Highlights, um die Leere in seinem Alltag zu füllen, baute er ein 2000-teiliges Puzzle zusammen. „Ohne den Rückhalt meiner Familie, meiner Freundin und meiner Freunde hätte ich es nicht geschafft“, bekennt Rossi und hat dabei wieder Tränen in den Augen, als er anfügt: „Vielleicht war es der Wille vom lieben Gott, dass mir bewusst wird, was für einen starken Rückhalt ich habe, vielleicht sollte ich an dieser Erfahrung wachsen.“ In den zurückliegenden Monaten gab es Tage, an denen er kein Licht am Ende des Tunnels sah, an jenen Tagen nämlich, an denen er Schmerzen hatte und er sich unweigerlich die Frage stellte, wie sein Körper darauf reagieren würde, wenn er wieder Hochleistungssport betreibt.

Vertrauen ist zurück

Das alles liegt hinter dem 19-Jährigen. Seit zwei Wochen steht er bei seinem Personalcoach Max Cavada in Göfis wieder im Training, sein körperlicher Rückstand ist weit geringer als gedacht. Und auch sein Vertrauen in seinen Körper ist wieder voll zurück. Dieses Vertrauen hat er auch dank dem Herzfacharzt Robert Bitschnau aus Schruns, der ein Freund der Familie ist und Rossis Herz am besten kennt. „Er sagt, dass ich wieder vollkommen gesund und belastbar bin“, erklärt der Center – nach all den Schilderungen über seine schwere Zeit huscht nun plötzlich, um nicht zu sagen endlich, wieder ein Lächeln über Rossis Gesicht. Weil er dem Schrunser Kardiologen uneingeschränkt vertraut. „Ansonsten würde ich beim Training ständig in meinen Körper hineinhören und bei jedem Zwicken in Panik ausbrechen.“
Bitschnau koordinierte die medizinische Betreuung von Rossi, stimmte sich mit den Ärzten in Minnesota ab, besprach sich mit Primar Matthias Frick vom Landeskrankenhaus Feldkirch, dem der 19-Jährige „auch ewig dankbar“ ist. Am Mittwoch absolvierte Rossi einen Belastungstest im Olympiazentrum Vorarlberg bei Marc Sohm. Der Leiter des sportmedizinischen Instituts bescheinigte ihm ebenfalls, wieder voll belastbar zu sein. Selbiges attestierte ihm sein behandelnder Lungenarzt. Auch geimpft ist Rossi mittlerweile.

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Rossi absolviert im Olympiazentrum Dornbirn einen sogenannten Spiroergometrietest, überwacht und durchgeführt von Dr. Marc Sohm, Leiter des sportmedizinischen Instituts. Philipp Steurer

Die Zukunft beginnt

Und so kehrt Rossi in zwei Wochen aufs Eis zurück. In Telfs trainiert er mit dem Skills-Coach der Minnesota Wild, der seinen Trainingsplan für Rossi, man glaubt es kaum, mit dem Personal-Coach von Megastar Sid Crosby abgestimmt hat. Ende Juni beginnt in Lustenau das fünfwöchige Marco-Rossi-Camp, das Rossi in enger Abstimmung mit Ausrichter sporteo konzipiert hat. Wer den Rankler kennt, weiß, dass er dabei klare Vorstellungen von den Trainingsinhalten, den eingesetzten Trainern und den Rahmenbedingungen eingebracht hat. An dem Camp können Kinder ab sechs Jahren teilnehmen. Trainiert wird an fünf Tagen pro Woche, mit jeweils zwei täglichen Einheiten auf und neben dem Eis, unter anderem wird Rossi selbst den Kids wertvolle Tipps geben. Einige Restplätze sind noch offen. In einer zweiten Trainingsgruppe werden in der Rheinhalle Nachwuchsspieler mit Perspektive auf die Alps Hockey League trainieren, für die Profi-Trainingsgruppe wiederum haben sich Spieler aus der ICE-Liga, der DEL, der NLA angemeldet – und sogar der NHL. So haben die Schweizer Timo Meier und Nino Niederreiter ihr Interesse bekundet.

Nichts ist wichtiger als die Gesundheit
Am Ende bleibt ein Marco Rossi, der einen Perspektivenwechsel erfahren hat. „Nichts ist wichtiger als die Gesundheit“, sagt der angehende NHL-Profi und sagt: „Ich werde in Zukunft meine Zeit am Eis noch mehr genießen.“
Diese Zukunft be­ginnt jetzt für Rossi. Und es wäre keine Überraschung, wenn er ab Herbst für viele sportliche Großtaten in der NHL sorgen würde. Ein Held im ureigensten Sinne will der Vorarlberger dennoch nicht sein. Denn er ist sich seiner Verletzlichkeit bewusst geworden und hat daraus eine neue Stärke gewonnen. Ein Gewinn fürs Leben, der jeden Sieg auf dem Eis überstrahlt.