Weihnachtswunder für Schnaps brennenden „Häfn“-Bibliothekar

Im zweiten Teil der Geschichte von Mirko Ladstätter und seiner Zeit im „Häfn“ spricht der Tivoli-Wirt über das Leben in Haft, eine illegale Schnapsbrennerei hinter Gittern und sein ganz persönliches Weihnachtswunder, vor fast genau 40 Jahren.
Nach seiner Verurteilung und der Ankunft in der oberösterreichischen Justizvollzugsanstalt Suben war das Leben des damals 18-Jährigen auf den Kopf gestellt.
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„Von einem Tag auf den anderen war ich als 18-jähriger Lehrling in einer mir völlig fremden Umgebung gelandet. Auf engstem Raum mit Zuhältern und Schwerverbrechern beim täglichen Spaziergang am Gefängnishof. Tagwache um 6 Uhr, dann die täglichen Dienste und um 18 Uhr Zelleneinschluss“, erzählt der Gastronom über jene Zeit, die ihn maßgeblich geprägt hat.
Dienst in der Bibliothek
Zu seinem Glück sei er aber immer jemand gewesen, der schnell Kontakte und Verbindungen zu anderen Menschen aufbauen konnte. Hilfreich war auch die Tätigkeit in der Bibliothek, wo ihn Andi L., ebenfalls ein Mitgefangener aus Vorarlberg, unter die Fittiche nahm – ganz im Stile der legendären Buchverfilmung „Die Verurteilten“ von Stephen King. Ein Vorarlberger Andy Dufresne im Subener „Shawshank Redemption, wenn man so will.

„In der Bibliothek waren wir mit vielerlei Aufgaben beschäftigt, und für viele der Insassen ein Bezugspunkt. Man kümmerte sich um Schreibarbeiten, wie etwa auch die Speisepläne, Einkäufe, Bücherwesen aber auch Videozusammenschnitte – wie etwa eine auf die für den Unterhaltungsabend angepasste Version des legendären Live-Aid-Konzerts. Für einige Wärter habe ich sogar die Weihnachtskarten für ihre Familien geschrieben, aufgrund meiner schönen Schrift“, führt der ehemalige Suben-Häftling im Gespräch mit der NEUE am Sonntag fort.
Schnaps im Vollzug
Mit fortschreitender Haftdauer arrangierte sich der mittlerweile 19-Jährige mit den Gegebenheiten und seine Tätigkeiten in der Bibliothek eröffneten ihm neue Möglichkeiten.

„Durch unsere Kenntnis der internen Strukturen und dem Netzwerk waren wir für viele Häftlinge Ansprechpartner, wenn es um die Beschaffung Güter jegweder Art ging, natürlich gegen Bezahlung, da wir ja ein gewisses Risiko getragen haben. Irgendwann haben wir dann begonnen, Schnaps zu brennen, in Zusammenarbeit mit der hauseigenen Schmiede und Küche. Aus Dosenkompott, Zucker, Reis oder was uns für geeignet erschien, haben wir dann verschiedene Destillate gebrannt, in Plastikkanistern in der Bibliothek gelagert und den Insassen verkauft – klassischer ‚Moonshiner‘ und vielleicht auch der ‚spirituelle‘ Beginn meiner gastronomischen Laufbahn“, schmunzelt der niemals auf den Mund gefallene Dornbirner.

Aus zehn Litern „Maische“ habe man einen Liter Schnaps herstellen können, den man für 300 Schilling an den Mann brachte – an Feiertagen sogar um 600 Schilling, auch im Gefängnis oder gerade dort bestimme die Nachfrage das Angebot.
Besuch von einem guten Freund
„Mein bester Freund Manfred, mit dem ich ja heute das Tivoli leiten darf, besuchte mich in Oberösterreich, wofür ich ihm heute noch sehr dankbar bin. Gerade in solchen Zeiten lernt man jene Menschen kennen, auf die man sein ganzes Leben vertrauen kann. Außerdem hat er mir geholfen, fünf Flaschen Rum in die JVA zu schmuggeln“, führt der Schnaps brennende, ehemalige „Häfn“-Bibliothekar weiter aus.

Schule für das Leben. Auch wenn im Nachhinein viele positive Erinnerungen im Gedächtnis geblieben seien, die Haft im schweren Strafvollzug habe ihn zu jenem Menschen gemacht, der er heute sei. „Ich habe gelernt, zu seinen Taten zu stehen und Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn ich es auf die harte Tour haben lernen müssen, vielleicht würde manch einem so eine Erfahrung gut tun. Und im Knast gilt Handschlagqualität. Wenn man etwas zusagt, dann steht man zu seinem Wort“, informiert der 62-Jährige.
Unverhoffte Kehrtwende
Nach der Hälfte seines Haftrahmens versuchte der Schokoladen- und Tabakräuber sein Glück und beantragte eine vorzeitige Entlassung. Sein Gesuch wurde abgewiesen. Und trotzdem tat sich für den Inhaftierten wieder eine neue Chance auf: „Ich hatte das große Glück, dass ich die Tochter vom damaligen Landtags-Abgeordneten Karl-Werner Rüsch zu meinem engeren Bekanntenkreis zählen durfte. Als Vizepräsident der Österreichischen Nationalbank zählte auch der damalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger zu seinem engeren Bekanntenkreis. Er versicherte mir, dass er ein gutes Wort beim Staatsoberhaupt einlegen würde. Und so machte ich mir Hoffnungen, meine Zeit in Suben früher als erwartet hinter mir zu lassen.“

Schließlich näherte sich das Weihnachtsfest und damit auch die Möglichkeit der sogenannten Weihnachtsamnestie, also einer vom Bundespräsidenten unterzeichneten Begnadigung für einige wenige Straftäter.
Unverhofft kommt oft
In der Adventszeit im Jahr 1985 machte sich der junge Häftling Hoffnung, sich auch auf der Liste jener wiederzufinden, die verfrüht wieder ihr Leben in Freiheit genießen konnten. Umso bitterer dann die Erkenntnis, dass er sich nicht zu den Glücklichen zählte, denen Gnade zuteil wurde. „Einen Tag später lag ich in der Zelle und blies Trübsal. Ich hatte darauf gehofft, dass der Zuspruch von Karl-Werner Rüsch gefruchtet hätte“, erinnert sich der inzwischen 62-Jährige.
Als dann am 21. Dezember 1985 ein Wärter die Tür aufsperrte und ihm mitteilte, dass er seine Sachen packen konnte, glaubte er an einen schlechten Scherz und antwortete prompt: „Schleich di.“

Der Wärter beharrte aber darauf und Mirko Ladstätter durfte tatsächlich den Gang in die Freiheit antreten. „Ich habe die wenigen Siebensachen gepackt, die mir geblieben waren. Den Rest habe ich meinen Mitinsassen geschenkt. Und ich bin in den nächsten Zug gestiegen, der am Bahnhof gehalten hat. In Richtung Wien, Hauptsache weg aus Suben“, führt der Gastronom gegenüber der NEUE weiter aus.
Zurück im Leben
In Freiheit hatte niemand mit seiner Rückkehr gerechnet: „Ich hatte kein Geld, keine Kleidung. Das Sozialamt half mit 1800 Schilling.“ Die Vorstrafe habe ihn lange belastet. „15 Jahre lang bin ich mit diesem Brocken herumgelaufen. Jobs bekam ich nur, wenn jemand gebürgt hatte. Und auch den Wehrdienst musste ich Jahre später absolvieren, gerade als ich wieder Fuß gefasst hatte und Vater geworden war“, zeigt sich der jetzige Tivoli-Wirt geläutert. Trotzdem habe er es sich nicht nehmen lassen, einmal mit seinem kleinen Sohn auf dem Arm zum Morgenappell zu erscheinen.
40 Jahre später
Mit seiner Geschichte möchte Mirko zeigen, dass man zu seinen Taten stehen sollte. Und dass aus einer saublöden Idee schnell bitterer Ernst wird: „Ich war blutjung. Und hatte keine Sekunde lang überlegt. Plötzlich stehst du da mit einer Strafe von dreieinhalb Jahren.“ Eine Zäsur, die den damals 18-Jährigen in eine Welt geführt hat, auf die er nicht vorbereitet war. Die ihm aber das Rüstzeug für sein ganzes Leben mitgegeben hat.
(NEUE am Sonntag)