“Wir sind Menschen und keine Heiligen”

HARTINGER
Die Tiroler Landtagsvizepräsidentin und ÖVP-Kandidatin bei der Europawahl Sophia Kircher war kürzlich in Vorarlberg zu Besuch. Im Interview spricht sie gemeinsam mit der ÖVP-Landtagsabgeordneten Christina Hörburger über die EU, junge Menschen und darüber wie es ist, in der Öffentlichkeit zu stehen.
Sie sind beide junge Frauen und engagieren sich in der Politik. Warum?
Sophia Kircher: Bei mir persönlich hat es mit der Hochschülerschaft begonnen. Damals gab es in Tirol noch kein Öffi-Ticket für Studierende, darum haben wir eine Unterschriftenliste dafür gestartet. Danach wurde ein Öffi-Ticket für 180 Euro pro Semester umgesetzt – das erste in ganz Österreich. Das hat mir gezeigt: Junge Menschen können einen Unterschied machen und Projekte umsetzen.
Christina Hörburger: Bei mir war es ähnlich. Ich war Jugendreferentin in der Bürgermusik Lauterach und habe dort gemerkt, dass man die Dinge mitgestalten kann, wenn man Verantwortung übernimmt. Mit 18 habe ich dann die Chance bekommen, als Gemeindemandatarin zu kandidieren. Das war mein Einstieg in die Politik. Über die Hochschülerschaft beim Studium und weitere Funktionen, bin ich dann dorthin gekommen, wo ich jetzt bin.
Kircher: Ich habe schon das Gefühl, dass man – unabhängig davon, ob man sich politisch oder ehrenamtlich in Vereinen engagiert – überall ein bisschen einen Unterschied macht. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass junge Menschen aktiv sind und an der Gesellschaft teilhaben.
Hörburger: Und dass sie die Chance dafür kriegen. Es geht ganz oft darum, dass jemand da ist, der die Türe zumindest einen Spalt weit öffnet. Durchgehen muss man dann immer noch selbst. Aber es braucht Menschen, die einem die Chance geben.
Es gibt dieses Bild der Politik, dass vor allem ältere Herren das Sagen haben. Wie einfach oder schwierig ist es für eine junge Frau, da eine Rolle zu finden?
Kircher: Als ich mit 27 Jahren Vizepräsidentin des Tiroler Landtags geworden bin, war die erste Frage eines Journalisten: „Traust du dir das wirklich zu?“ Da habe ich mir gedacht, einen 27-jährigen Mann hätte man das eventuell nicht gefragt. Ich habe am Anfang schon mit manchen Vorurteilen zu kämpfen gehabt, wo es hieß: „Wir brauchen eine junge Frau fürs Foto“ oder „Die haben nur eine junge Frau für den Landtag gebraucht, darum bist du dabei“. Ich glaube, dass wir zwei und viele andere junge Frauen da gerade sehr viele Klischees aufbrechen. Es ist wichtig, dass die Politik die gesamte Gesellschaft abbildet, und da gehören sowohl junge Frauen, junge Männer und Personen jeden Alters dazu.
Hörburger: Das Bild, das die Menschen von außen von der Politik und politischen Akteuren haben, ist tatsächlich das von diesen weißen, älteren Herren. Wenn man aber selbst politisch aktiv ist, habe ich das Gefühl, dass man im parteipolitischen System weniger Vorurteilen gegenübersteht. Ich habe ganz oft die positive Erfahrung gemacht, dass man sehr ernst genommen wird und dass man wirklich mitgestalten kann, wenn man gute Ideen hat.

Es gibt junge Menschen, die Veränderung möchten, aber einen anderen Weg wählen als die Politik – sei das „Fridays for Future“, sei das die „Letzte Generation“. Haben Sie Verständnis dafür, dass es manchen nicht schnell genug geht?
Kircher: Ich persönlich würde mir auch wünschen, dass manche Entscheidungen schneller getroffen werden. Wobei ich sagen muss, je länger man das politische Geschäft kennt, desto mehr kommt man drauf, dass Entscheidungen eine gute Grundlage wie etwa Expertengutachten brauchen. Mir fällt auch auf, dass in der Politik nach außen oft dieses Bild besteht, dass nur gestritten wird, dabei ist daseinfach Teil einer gesunden Debattenkultur. Es ist wichtig, dass man den Diskurs zulässt, und es Meinungsvielfalt gibt.
Hörburger: Und vor allem braucht es Mehrheiten. Das ist die Seele des demokratischen Systems, dass nicht eine Person oder eine Partei allein entscheiden kann, sondern es immer mehr als 50 Prozent der Stimmen für Entscheidungen braucht. Das ist gut so, aber das braucht natürlich Zeit.
Lena Schilling von den Grünen, ist gerade stark unter Druck, wobei es auch um private Vorgänge geht. Beschäftigt es einen, dass das eigene Privatleben öffentlich diskutiert werden könnte, wenn man sich politisch engagiert?
Kircher: Ab dem Moment, in dem man für ein Amt kandidiert oder Politikerin ist, steht man in der Öffentlichkeit und „in der Auslage“. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.
Hörburger: Eine sehr spannende Vorarlberger Persönlichkeit hat einmal gesagt: „Ein Politiker muss die durchschnittliche moralische Vorstellung der Bevölkerung haben und dann noch ein bisschen mehr, weil wir sind alle Vorbilder.“ Ich glaube, das ist der Punkt. Ein Politiker oder eine Politikerin ist kein perfekter Mensch. Alle machen einmal Fehler. Für die Medien ist natürlich spannend, über so etwas zu berichten, und die Menschen lesen das gerne. Nichtsdestotrotz muss man sich einfach immer wieder in den Hinterkopf rufen: Wir sind alle nur Menschen, wir machen alle Fehler. Wir müssen die moralischen Vorstellungen leben und eine Vorbildfunktionen einnehmen, aber trotzdem sind wir Menschen und leider keine Heilige.
In weniger als einem Monat ist die EU-Wahl. Sie sind beide etwa zur Zeit von Österreichs EU-Beitritt geboren worden. Hat das einen Einfluss auf Ihre Denkweise und Ihre Sicht der Dinge?
Kircher: Ich würde sagen, wir gehören beide zur Generation der „EU-Beitrittskinder“. Ich wurde am 4. Mai 1994 geboren. Das ist jener Tag, an dem Straßburg grünes Licht zum österreichischen EU-Beitritt gegeben hat. Ich kenne nur mehr die Erzählungen meiner Eltern, wie das früher war, wenn man beispielsweise über den Brenner gefahren ist. Das Sicherheits- und Friedensthema war für mich bis vor ein paar Jahren eine vollkommene Selbstverständlichkeit. Der schreckliche Angriffskrieg in der Ukraine hat hier das Bewusstsein aber verändert und gezeigt, dass das alles eben keine Selbstverständlichkeit ist. Umso wichtiger ist es, die Europäische Union zu gestalten und nicht jenen Nationalisten zu überlassen, die sie zerstören wollen. Es braucht gerade für die großen Themen dieser Zeit – wie Migration oder Wirtschaft – eine starke EU. Darum hoffe ich sehr, dass wir weiterhin in eine pro-europäische Richtung gehen.
Hörburger: Ich kann vieles nur bestätigen, was Sophia gesagt hat. Für mich ist die Europäische Union schon immer dieses große Friedensprojekt. Meine Opas waren beide im Zweiten Weltkrieg, und ich habe da ganz viele persönliche Geschichten gehört, wie das abgelaufen ist – dass sie oft nur um Haaresbreite mit dem Leben davongekommen sind. Und ich denke mir dann oft, wenn an diesem Punkt die Dinge nur ein bisschen anders verlaufen wären, würde ich vielleicht jetzt nicht hier sitzen. Für mich war das mit ein Beweggrund, mich politisch zu engagieren. Und für mich ist das vor allem ein Grund dafür, dass Menschen zur EU-Wahl gehen sollen. Denn Frieden ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit und auch das, was die Europäische Union uns garantiert.
Zu den Personen
Sophia Kircher wurde 2018 als jüngste Abgeordnete im Tiroler Landtag angelobt und 2021 zur jüngsten Landtagsvizepräsidentin gewählt. Die 30-Jährige kandidiert bei der Europawahl auf Platz vier der ÖVP-Liste. Christina Hörburger (27) ist seit 2019 für die ÖVP im Vorarlberger Landtag. Mit 23 Jahren war sie damals die jüngste Mandatarin.
Christina Hörburger (27) ist seit 2019 für die ÖVP im Vorarlberger Landtag. Mit 23 Jahren war sie damals die jüngste Mandatarin.