Vorarlberg

„Unsere Kinder haben hier viel die größeren Zukunftschancen“

19.07.2025 • 17:00 Uhr
„Unsere Kinder haben hier viel die größeren Zukunftschancen“
Familie Kenyherc hat ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile im hinteren Bregenzerwald und möchte dort sesshaft werden. Hartinger (4)

Seit neun Jahren lebt die Familie Kenyherc in Mellau. Nun möchten die Geschwister Alex und Livia mit ihren Familien gemeinsam ein Eigenheim kaufen.

Die Berge des Bregenzerwalds, klare Bäche, dichte Wälder. Für viele sind sie Ausflugsziel oder Heimatidylle. Für die Familie Kenyherc sind sie viel mehr. Sie sind ein Zufluchtsort, ein Neuanfang und vielleicht bald ein dauerhaftes Zuhause. Die Geschwister Sandor und Livia, ursprünglich aus der Ukraine, suchen gemeinsam mit ihren Familien ein Haus. „Ein Einfamilienhaus für zwei Familien“, beschreiben sie es selbst. Groß genug für sieben Menschen, mit zwei getrennten Wohnbereichen und – wohl das schwierigste Kriterium – leistbar.

Hoffnung im Gepäck

Sandor, den alle Alex nennen, lebt seit neun Jahren in Mellau. Gemeinsam mit seiner Frau Edit kam er 2016 nach Vorarlberg, mit wenig Gepäck, aber viel Hoffnung. „Wir hatten zwei Rucksäcke, 300 Euro und kannten niemanden. Heute haben wir hier ein Zuhause“, erzählt er. Ihr Sohn Alex ist vier Jahre alt. Dass sie geblieben sind, sei kein Zufall. „Gerade für unsere Kinder gibt es hier ganz andere Zukunftschancen, als sie sie in der Ukraine hätten.“

Alex ist gelernter Tischler und arbeitet seit seiner Ankunft durchgehend in einer Tischlerei in Mellau. Heute ist er fest angestellt, übernimmt Verantwortung, hat sich integriert. Seine Frau Edit trägt als Reinigungskraft zum Familienleben bei. Gemeinsam haben sie sich ein einfaches, aber stabiles Leben aufgebaut. Doch was fehlt, ist ein eigenes Zuhause. Ein Ort, an dem mehrere Generationen gemeinsam leben können. So, wie es in ihrer alten Heimat selbstverständlich ist.

Flucht vor dem Krieg

Diesen Wunsch teilt auch seine Schwester Livia. Drei Jahre ist es her, dass sie wegen des Krieges in der Ukraine mit ihrem Mann Karl und den beiden Kindern ebenfalls nach Vorarlberg kam. Die Entscheidung, das Heimatdorf, das vertraute Leben und ihr Haus zurückzulassen, sei eine der schwersten gewesen, sagt Livia: „Man lässt nicht nur Dinge zurück, sondern auch ein ganzes Leben.“ Heute arbeitet sie in einer Bäckerei. Als gelernte Konditorin kann sie ihren Beruf nicht ausüben, da die Ausbildung hier nicht anerkannt wird. „Es war frustrierend, aber ich bin froh, dass ich arbeiten kann.“

„Unsere Kinder haben hier viel die größeren Zukunftschancen“
Livia ist am Donnerstag in die Ukraine aufgebrochen, um ihre betagte Mutter zu holen, die dort mittlerweile alleine lebt.

Karl hat beim örtlichen Teppichhersteller eine fixe Stelle gefunden. Die 16-jährige Tochter Gabriella hat kürzlich eine Doppellehre als Bäckerin und Konditorin begonnen, in derselben Bäckerei wie ihre Mutter. „Es gefällt mir sehr. Ich bin stolz, dass ich das machen darf“, sagt sie. Der zwölfjährige Daniel hat vor dem Schuleintritt ein Jahr lang intensiv Deutsch gelernt. Heute besucht er die sechste Schulstufe und fühlt sich im Klassenverband wohl.

Deutsch lernen

Für die Familie ist das Erlernen der deutschen Sprache ein zentrales Thema. „Wenn man sich in einem fremden Land ein Leben aufbauen möchte, gehört das einfach dazu“, sagt Alex. Zu Hause wird Deutsch gesprochen, auch der Fernseher läuft auf Deutsch. „Unsere Kinder sind schon richtig gut. Wir üben gemeinsam und lernen jeden Tag weiter.“

Wurzeln schlagen

Die Suche nach einem geeigneten Haus beschäftigt die Familien seit Monaten. Einzeln sei es kaum möglich, etwas zu finden, sagen sie. Gemeinsam könnte es gelingen, auch finanziell. „Wir haben gespart, mit der Bank gesprochen und die Behörden kontaktiert. Uns wurde bestätigt, dass es möglich ist, gemeinsam ein Haus zu kaufen“, erklärt Livia. Wichtig sei nur, dass das Haus in der Umgebung von Mellau liegt. Die Arbeitsplätze, die Schule, der Kindergarten, alles ist hier. Ein Umzug in eine andere Region käme nicht infrage. Ein sanierungsbedürftiges Objekt? Kein Problem. „Ich bin Tischler. Wir können vieles selbst machen“, sagt Alex mit einem Lächeln. Was sie sich wünschen, ist keine Luxusimmobilie, sondern ein funktionales Haus mit ausreichend Platz für vier Erwachsene, drei Kinder und bald auch für die Mutter der Geschwister. Denn Livia ist derzeit in der Ukraine, um genau das zu organisieren.

Mutter in der Ukraine

„Dieses Jahr ist unser Papa gestorben, und unsere Mutter ist jetzt ganz allein“, erzählt sie. „Sie zu holen, ist uns sehr wichtig.“ Der Heimatort sei vom Krieg bisher verschont geblieben, doch die Zahl der Geflüchteten aus anderen Regionen steige. „Die Preise für Lebensmittel und Wohnungen sind in die Höhe geschossen. Viele verdienen dort nur 50 bis 60 Euro im Monat, die Preise sind zum Teil schon fast so hoch wie hier.“ Dass Sandor seine Mutter nicht selbst abholen kann, hat einen ernsten Grund: Wenn ukrainische Männer in wehrfähigem Alter in die Ukraine zurückkehren, dürfen sie das Land nicht mehr verlassen.

„Unsere Kinder haben hier viel die größeren Zukunftschancen“

Trotz allem blicken beide Familien optimistisch in die Zukunft. „Wenn man will, findet man hier Arbeit“, sagt Livia. „Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir zahlen Steuern, wir arbeiten und wir möchten einfach Teil dieser Gesellschaft sein.“

Traum vom Eigenheim

Für viele in der Region ist es eine Selbstverständlichkeit, dass das Eigenheim irgendwann kommt. Für Familie Kenyherc ist es ein hart erarbeiteter Wunsch. Die Voraussetzungen stimmen: zwei Familien mit festen Jobs, eine starke Gemeinschaft, der Wille, sich einzubringen und ein handwerklich geschickter Vater, der notfalls selbst zur Säge greift. „Wir sind keine Leute, die nur fordern. Wir wollen leisten, mithelfen und hier unseren Platz finden.“

„Unsere Kinder haben hier viel die größeren Zukunftschancen“
Für das Treffen mit der NEUE am Sonntag in ihrer Mietwohnung hat Familie Kenyherc alle Familienmitglieder zusammengetrommelt.

Gemeinsam unter einem Dach

Am Ende steht eine einfache, ehrliche Bitte: „Wenn es irgendwo ein Häuschen gibt, mit Platz für uns alle, gerne auch zum Renovieren, dann würden wir uns sehr freuen“, sagt Alex. „Mellau ist unser Zuhause geworden. Jetzt fehlt nur noch das Dach, unter dem wir alle gemeinsam leben können.“