Euro-Stars

Der Extraordinäre

21.06.2024 • 14:45 Uhr
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Kylian Mbappé wird die EM mit Maske fortsetzen. GEPA

Nach seinem Nasenbeinbruch gegen Österreich bangte Frankreich um den weiteren EM-Einsatz von Superstar Kylian Mbappé. Dennoch scheiden sich auch in seiner Heimat die Geister am Linksaußen.

Kylian Mbappé hat die Wucht einer Dampfwalze. Wenn der 25-Jährige Tempo aufgenommen hat und dynamisch aufs Tor zieht, können sich seine Mitspieler für gewöhnlich schon für den Torjubel bereit machen. Der Franzose umkurvt die Gegner wie einst Marcel Hirscher die Slalomstangen. Mbappé ist kein klassischer Mittelstürmer, sondern spielt vorzugsweise als Linksaußen, wo seine famose Geschwindigkeit noch besser zur Geltung kommt. In der Champions League kam er zuletzt auf einen unerreichten Top-Speed von 36,1 Stundenkilometern.
Und doch scheidet Mbappé die Geister. Denn der Superstar geizt auf und neben dem Platz nicht mit Eigensinn, so beteiligt sich der elffache Torschützenkönig nicht bei der Arbeit gegen den Ball: Im Jahr 2023 war er in den fünf europäischen Top-Ligen der Stürmer mit den wenigsten Defensiv-Aktionen. Bei der WM 2022 kam er in 477 Einsatzminuten auf sage und schreibe eine einzige Defensivaktion und somit auf durchschnittlich 0,19 Aktionen gegen den Ball pro Spiel. Kein anderer Feldspieler mit mehr als 150 Einsatzminuten hatte einen geringeren Wert. Lionel Messi kam auf einen Wert von 1,42 pro Spiel.

Starallüren

Bisweilen stolziert Mbappé fast schon lustlos über den Platz, was seine Mitspieler zur Weißglut treibt. Seine Gegenspieler behandelt der Franzose bisweilen von oben herab. Wie im Frühjahr 2021 beim Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Barcelona, als Mbappé im PSG-Dress nach einem Scharmützel Gegenspieler Sergino Dest einen ordentlichen Schubser versetzte und fauchte: „Fass mich nicht an!“, zu Barcas Linksverteidiger Jordi Alba brüllte er: „Auf der Straße töte ich dich!“ In perfektem Spanisch, damit seine Botschaft auch ja verstanden wurde. Zur Welt von Mbappé gehört allerdings auch, dass er in dieser Partie drei Tore erzielte und somit das Duell zugunsten des französischen Hauptstadtklubs entschied.
Mbappé wurde am 20. Dezember 1998 geboren. Er wuchs in einem Pariser Vorort als Sohn eines Kameruners und einer Algerierin auf. Mit fünf Jahren begann er mit dem Fußballspielen. Mit 14 stand der erste große Wechsel von Mbappé an – der Rechtsfuß schloss sich dem AS Monaco an. Sein Profidebüt für die Monegassen gab er mit 16 Jahren am 2. Dezember 2015 bei einem 1:1 gegen Caen. Acht Tage später wurde er im Europa-League-Spiel bei Tottenham eingewechselt.
Das erste Pflichtspieltor erzielte Mbappé am 20. Februar 2016 gegen Troyes. Von da an ging die Karriere des Teenagers durch die Decke. In der Saison 2016/17 kam er in der Ligue 1 auf 15 Tore und 11 Vorlagen, in der Champions League erzielte er 6 Tore. Monaco wurde Meister und schrammte in der Königsklasse nur knapp an der Finalteilnahme vorbei. Es folgte der Wechsel zu Paris St. Germain, der zunächst als Leihgeschäft abgewickelt wurde, weil PSG nach der Verpflichtung von Neymar die Financial-Fairplay-Regularien umgehen musste.
Ein Jahr später folgte die feste Verpflichtung, die sich der Scheichklub inklusive Bonuszahlungen letztlich 180 Millionen Euro kosten ließ. Von da an gehörten Superlative zum Standardprogramm bei Mbappé. 2018 führte er die Tricolore zusammen mit Antoine Griezmann zum Weltmeistertitel, beiden Angreifern gelangen je vier Tore bei der WM. Es folgten zwölf (!) Titel mit Paris.

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Kylian Mbappé feiert sich nach einem Torerfolg. AFP

Imagewandel

Die öffentliche Wahrnehmung des Superstars kippte in Frankreich jedoch bei der EM 2021. Vor dem Turnier warfen sich die beiden Stürmer Mbappé und Olivier Giroud gegenseitig vor, den anderen auf dem Platz bewusst zu ignorieren. Während der Euro präsentierte sich Mbappé völlig lustlos und isolierte sich damit innerhalb der Mannschaft. Als er dann auch noch im Achtelfinale den entscheidenden Elfmeter im Elfmeterschießen gegen die Schweiz verschoss, war der 22-Jährige unten durch. Es folgte ein monatelanges Wechseltheater um Mbappé: Real Madrid wollte den Ausnahmestürmer unbedingt verpflichten. Doch im Mai 2022 verlängerte der Wunderstürmer bei PSG überraschend seinen im Sommer 2023 ausgelaufenen Vertrag um ein Jahr.
Als die Konditionen der Verlängerung bekannt wurden, war das Treuebekenntnis zu Paris nicht mehr ganz so unerklärlich: Die Vertragsverlängerung machte Mbappé nämlich zum bestbezahlten Fußballspieler der Welt – laut der Zeitschrift Forbes kam er auf ein Gehalt von 128 Millionen Dollar. Allein für die Unterschrift flossen offenbar 180 Millionen auf Mbappés Konto. Zudem, man glaubt es kaum, erhielt er ein Mitspracherecht bei der Kaderplanung. Vertragsbedingungen, die vielerorts als regelrecht obszön empfunden wurden.
Bei der Winter-WM in Katar im Dezember 2022 war Mbappé in Gala-Form. Acht Tore erzielte der Franzose bei der WM, allein drei im Endspiel gegen Argentinien, was zuletzt Geoff Hurst 1966 gelungen war. Zudem verwandelte Mbappé im Endspiel im Elfmeterschießen gegen Argentinien. Mbappé wurde Torschützenkönig, Weltmeister die Gauchos.

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Vor dem Tor ist Mbappé kaum zu stoppen. Reuters

Loyalität

Im Sommer 2023 tauchten wieder Wechselgerüchte zu Real auf, Mbappé blieb bei PSG, was ihm einen „Loyalitätsbonus“ von 70 Millionen Euro einbrachte. Gar nicht mal deshalb waren sie bei PSG erbost über ihren Superstar. Sondern, weil Mbappé verlautbarte, seinen im Sommer 2024 auslaufenden Vertrag nicht mehr verlängern zu wollen und den Verein ablösefrei verlassen zu wollen. Als sich in diesem Frühjahr abzeichnete, dass der 25-Jährige seine Drohung wahrmachen würde, verlor er seinen Stammplatz bei PSG.
Ab Spieltag 21 stand er in der Liga nur mehr 558 Minuten auf dem Platz, was er im Champions-League-Halbfinale gegen Dortmund mit demonstrativer Teilnahmslosigkeit bestrafte.

Real-Transfer. Nun wechselt Mbappé zu Real Madrid, wo er als Linksaußen die Position von Vinicius Junior beansprucht, womit neuer Ärger absehbar ist. Alles weitere wird davon abhängen, ob es der hochdekorierte Superstürmer schafft, seine Starallüren und seinen geradezu krassen Egoismus abzulegen. Dann kann der mit Talent gesalbte Mbappé zum prägendsten Spieler seiner Generation werden. Andernfalls könnte Mbappés Karriere wie die von Neymar zum uneingelösten Versprechen werden.