“Das Problem ist sicher die Person Kickl”

Im großen NEUE-am-Sonntag-Interview spricht Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) über das “intensive” Jahr 2023, die anstehenden Wahlen und warum die ÖVP seiner Meinung nach kein Bürgermeisterproblem hat.
Herr Landeshauptmann, das Jahr liegt in seinen letzten Zügen. Mit welchem Gefühl blicken Sie auf 2023 zurück?
Markus Wallner: Wir haben in den letzten Jahren immer wieder Krisensituationen erlebt. Sie sind ständige Begleiter des politischen Alltags geworden. Aber so intensiv wie im letzten Jahr war es noch nie.
Was meinen Sie genau?
Wallner: Die Spätfolgen der Pandemie. Die Teuerung, die ganz vielen auf den Schultern lastet. Die Frage, wo die Energieversorgung hinsteuert, ein möglicher Blackout. All die Krisen hätten Vorarlberg deutlich aus der Bahn werfen können, aber wir kommen da eigentlich ganz gut durch. Wir sind im Kern ein starkes Land.
Wer ist wir?
Wallner: Nicht nur die Politik, ich meine damit die gesamte Bevölkerung. Die Familien und Familienbetriebe, die starke Wirtschaft, das Ehrenamt, das Vereinswesen.
Wallner: Die Krisenereignisse haben uns nicht aus der Bahn geworfen.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie ins neue Jahr?
Wallner: Mit deutlich zuversichtlicheren. Aber es gibt natürlich auch ein paar Dinge, die uns beschäftigen. Etwa, dass die Konjunktur eingebrochen ist und sich der Arbeitsmarkt eintrübt. Und wir steuern auf ein Wahljahr zu. Die Bevölkerung ist aufgerufen, sich demokratisch zu entscheiden, welche Richtung das Land nimmt.
2024 wird ein Superwahljahr. Die erste große Wahl wird die EU -Wahl sein. Befürchten sie eine Protestwahl?
Wallner: Das kann man bei keiner Wahl ausschließen. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Da gab es kuriose Ergebnisse wie etwa Zuwächse bei den Kommunisten. Am Wählermarkt kommt sehr viel in Bewegung. Die entscheidende Frage wird sein, wer die eigenen Anhänger mobilisieren kann. Wie stark die Proteste bei der EU-Wahl sein werden, wird man sehen. Bei europäischen Wahlgängen in anderen Ländern konnte man schon gewisse Trends erkennen, die einem zum Denken geben.
Wir alle gut beraten, zu Europa zu stehen und zu schauen, dass die positiven Kräfte die Oberhand gewinnen. Da hätten wir guten Grund dazu, denn Europa hat große Aufgaben zu erledigen.
Markus Wallner
Ein Verlust für die ÖVP bei der EU-Wahl scheint unvermeidlich, weil die Volkspartei im Jahr 2019 mit dem einst sehr beliebten Parteichef namens Sebastian Kurz ein sensationelles Ergebnis einfuhr. Gleichzeitig ist mit einem starken Abschneiden der FPÖ zu rechnen.
Wallner: Ich denke, dass die Chancen in Summe intakt sind. Bei der EU-Wahl entscheidet sich deutlich mehr über die Wahlbeteiligung. Wenn die Wahl zu einer reinen Proteststimmung genützt wird, wird es mitunter nicht so gut laufen. Andererseits wären wir alle gut beraten, zu Europa zu stehen und zu schauen, dass die positiven Kräfte die Oberhand gewinnen. Da hätten wir guten Grund dazu, denn Europa hat große Aufgaben zu erledigen.
Im Bund sehen alle Umfragen die Freiheitlichen vorne. Würden Sie eine Koalition mit der Kickl-FPÖ unterstützen?
Wallner: Das Problem ist sicher die Person Kickl. Es gibt keinen in der Volkspartei, der eine Koalition mit Kickl wirklich will. Da hat man Erfahrungen auf Bundesebene gemacht und die waren nicht sehr positiv. Die freiheitliche Wählerschaft aber ganz auszuschließen, wäre falsch.

In der Steiermark, wo ebenfalls nächstes Jahr gewählt wird, hat sich ihr Kollege Drexler klar gegen Herbert Kickl ausgesprochen, im Land aber eine Koalition mit der FPÖ nicht ausgeschlossen. Wie sehen Sie das?
Wallner: Mein Grundsatz war und ist, dass keine Partei auf Landesebene von vornherein ausgeschlossen wird. Insofern müsste man die anderen fragen, ob sie mit uns zusammenarbeiten würden.
Sie spielen auf den freiheitlichen Klubobmann Christoph Bitschi an.
Wallner: Beim letzten Mal war es so, dass Herr Bitschi eine Zusammenarbeit mit mir ausgeschlossen hat. Also wenn jetzt jemand was zurücknehmen muss, ist es er und nicht ich.
Wie läuft‘s mit den Grünen?
Wallner: Es ist eine sachliche Zusammenarbeit. Wir reden viel und koordinieren uns gut.
Ich mache keine Koalitionsansagen vor der Wahl. Für uns ist die Frage, ob wir bei der nächsten Wahl einen klaren Auftrag bekommen. Und dafür kämpfen wir jeden Tag.
Markus Wallner
Würden Sie gerne mit den Grünen zusammenbleiben oder lieber mit der FPÖ koalieren?
Wallner: Ich mache keine Koalitionsansagen vor der Wahl. Für uns ist die Frage, ob wir bei der nächsten Wahl einen klaren Auftrag bekommen. Und dafür kämpfen wir jeden Tag.
Was sagen die internen Prognosen der Partei?
Wallner: Die könnten besser sein. Da sieht man schon, dass es schwierig ist. Das haben auch die letzten Wahlgänge in anderen Bundesländern und zum Teil auch im Ausland gezeigt. Da bin ich unzufrieden. Da können und müssen wir noch deutlich zulegen.

Die ÖVP versteht sich als Partei der bürgerlichen Mitte. Eine Analyse des Integral-Instituts kommt jedoch zum Schluss, dass es diese Mitte in ihrer alten Form gar nicht mehr gibt. Kann die ÖVP der neuen Mitte überhaupt ein Angebot machen?
Wallner: Sie muss ihr ein Angebot machen. Die ÖVP war und ist eine Partei der starken bürgerlichen Mitte. Diese ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft enorm wichtig. In der Mitte sind jene, die Steuern zahlen und Leistung bringen. Familien, Familienbetriebe.
Wie will die Vorarlberger Volkspartei das durch die Wirtschaftsbundskandal verloren gegangene Vertrauen wieder zurückgewinnen?
Wallner: Die Diskussion war ein Katalysator für eine wesentliche transparentere Parteiarbeit, auch was die Teilorganisationen betrifft. Und sie führte, zu Veränderungen, die Vorbildcharakter haben. Es gib kein strengeres Parteiengesetz in Österreich. Es ist alles sehr gläsern jetzt. Man weiß genau, woher das Geld kommt.
Die ÖVP musste hunderttausende Euro Steuern nachzahlen, die Strafverfahren gegen Sie und Landesrat Tittler wurden eingestellt. Ganz ausgestanden ist die Sache allerdings noch nicht. Es laufen noch Finanzstrafverfahren gegen zwei frühere Wirtschaftsbunddirektoren.
Wallner: Das stimmt, ja.
Themawechsel: Mit dem Vorarlberg Kodex sollen Asylwerber zur Freiwilligenarbeit verpflichtet werden. Wollen Sie die FPÖ damit rechts überholen?
Wallner: Das hat mit rechts oder links nichts zu tun, sondern mit Hausverstand. Man kann nicht einfach zu uns kommen und glauben, man bekommt alles. Man muss auch was dafür tun. Wir haben in den Fragen der Integrations- und Asylpolitik immer eine klare Linie verfolgt. Warum sollen wir jetzt davon abweichen? Wer das Land betritt, hat Regeln einzuhalten. Wenn ich die Werte eines Landes kennenlernen will, ist eine gemeinnützige Arbeit nicht das dümmste.
Das hat mit rechts oder links nichts zu tun, sondern mit Hausverstand. Man kann nicht einfach zu uns kommen und glauben, man bekommt alles. Man muss auch was dafür tun.
Markus Wallner
Aber ist Integration nicht deshalb schwierig, weil die Verfahren schleppend gehen und die Asylwerber nicht arbeiten dürfen.
Wallner: Wir hatten schon Phasen, in denen die Asylverfahren mehrere Jahre dauerten. Das ist schlecht für die Betroffenen, den Staat und die gesamte Gesellschaft. Mittlerweile geht es deutlich schneller. Bei Asylwerbern mit einer Bleibeperspektive ist es richtig, mit den Integrationsarbeit sofort zu beginnen. Wir müssen uns mit den Menschen am ersten Tag darüber unterhalten, ob sie bereit sind, unsere Sprache zu lernen und unsere Werte zu respektieren. Das Thema beschäftigt die Bevölkerung. Viele haben Sorge, dass sich Parallelgesellschaften bilden könnten.
Die Vogewosi hat 2023 rund 110 Mietwohnungen fertiggestellt – das ist etwa ein Drittel der Bauleistung vor der Pandemie. Keine guten Nachrichten für die vielen Menschen, die auf leistbaren Wohnraum angewiesen sind.
Wallner: Das ist richtig. Die Bauleistung muss deutlich erhöht werden. Man muss aber anerkennen, dass es eine sehr schwierige Phase mit Lieferengpässen und explodierenden Baukosten gab. Jetzt ist sicher der richtige Zeitpunkt, um wieder mehr zu bauen, auch was die Zinspolitik anlangt.
Welche Überlegungen gibt es sonst noch, um mehr leistbaren Wohnraum zu schaffen.
Wallner: Die Weichen für eine Offensive sind gestellt. Wir werden die attraktivste Wohnbauförderung Österreichs haben. Auch die Wohnbeihilfe und das Sonderwohnbauprogramm 550 werden uns dabei helfen und wir haben ein paar wichtige Gesetzesänderungen vorgenommen. Der Bodenfonds wird ein Instrument der Zukunft sein.

Um in Österreich eine attraktivere Wohnbauförderung zu finden, muss man nur nach Salzburg schauen. Dort bekommt man bis zu 70.000 Euro auf die Hand, ohne diese zurückzahlen zu müssen.
Wallner: Da haben wir uns auch einmal überlegt. Salzburg arbeitet aber mit einem ganz anderen Modell. Wir haben ein Darlehenssystem, dafür gibt es bei uns wesentlich mehr Geld, nämlich bis zu 200.000 Euro. Mit dem Rückfluss ins Budget können wir in neue Darlehen investieren. Bei den Salzburgern sind es verlorene Zuschüsse. Die haben dann kein Geld mehr, wenn´s im Budget eng wird. Wir werden noch erleben, dass die Direktzuschüsse bei den anderen einbrechen und bei uns die Darlehensrückflüsse steigen.
Was wird die Landespolitik außer den Themen Wohnen und Teuerung 2024 noch beschäftigen?
Wallner: Wir werden die Kinderbetreuung weiter ausbauen und die gestartete Pflegelehre in eine ordentliche Entwicklung bringen. Beim Energie- und Strompreis müssen wir unseren Stand halten.
Es gibt jedenfalls noch einiges zu tun bis zu den Wahlen. Ist das schwieriger als zu Beginn der Legislaturperiode?
Wallner: In Vorarlberg gibt es gottseidank noch eine gute Stimmung. Ich warne davor, in einen Dauerwahlkampf zu kippen. Das würde von der Bevölkerung nicht goutiert werden. Ich kann mir auch nicht vorstellen, sinnlose Wahlzuckerln zu verteilen.
Wie geht es mit der S18 weiter?
Wallner: Ich denke, dass man seitens der Asfinag die CP-Variante weiterfolgen und dann wieder auf Lustenau zukommen wird. Es ist auch keine Alternative sichtbar. Wenn es die CP-Variante nicht wird, sind wir am Ende der Diskussion angekommen. Dann werden wir diese Verbindung nicht mehr herbringen.
Sind ihnen die Anliegen der Lustenauer Bevölkerung egal? Immerhin haben sich bei der Volksbefragung nicht weniger als 70 Prozent gegen die CP-Variante ausgesprochen.
Wallner: Nein, im Gegenteil. Aus Lustenauer Sicht ist es wichtiger denn je, dass es eine Verbindung gibt. Die Bevölkerung leidet dort massiv unter dem Verkehr. Ich bezweifle, dass zum Zeitpunkt der Befragung alle Lustenauer gewusst haben, wie das Projekt ausschaut und dass es auch eine komplette Unterflur-Planung gibt. In der Evaluierung des Bundes hieß es ja, dass die CP-Variante optimiert werden muss. Deshalb würde ich die Variante nicht gleich wegschmeißen.
Sie haben die schlechte Wahlbeteiligung angesprochen. In der Schweiz, wo es viele bindende Volksbefragungen gibt, ist sie oft auch nicht höher.
Wallner: Das ist richtig. Die Vergleiche mit der Schweiz sind aber schwierig. Sie haben eine ganz andere Tradition bei Volksbefragungen. Und sie haben auch Probleme mit der geringen Wahlbeteiligung.
Hohenems war kein erfreuliches Ergebnis für uns, Bregenz schon dreimal nicht. Da versuchen wir daraus zu lernen.
Markus WallnerNoch ein kurzer Blick in die Städte. In Bregenz hat jetzt Roland Frühstück die Obmannschaft der Partei übernommen. Er soll dem Vernehmen nach auch Bürgermeisterkandidat werden. Er ist 65 Jahre alt. In Feldkirch, wo noch kein Nachfolger in Sicht ist, regiert Bürgermeister Woilfgang Matt, der nächstes Jahr 69 wird. Hat die ÖVP ein Nachwuchsproblem?
Wallner: Das glaube ich nicht. Wir schauen uns natürlich an, mit welchen Personen wir die besten Voraussetzungen haben. Generell ist die Frage, wer in Zukunft überhaupt noch ins Bürgermeisteramt einsteigen will. Das ist eine Diskussion in allen Parteien. Im Übrigen wäre ich mit Alterszuschreibungen vorsichtig. Roland Frühstück ist ein sehr bekannter Bregenzer mit sehr viel politischer Erfahrung, der sich jetzt einmal als Parteiobmann einbringt. In Feldkirch sind die Gespräche im Gange wie es insgesamt weitergehen soll.

Sehen Sie die Gefahr, dass die ÖVP nach Hohenems und Bregenz weitere Städte verlieren könnte?
Wallner: Ich denke, dass es überall notwendig ist, sich zeitgerecht vorzubereiten. Klar ist: Hohenems war kein erfreuliches Ergebnis für uns, Bregenz schon dreimal nicht. Da versuchen wir daraus zu lernen.
Was wünschen Sie sich für 2024?
Wallner: Ich würde mir wünschen, dass Vorarlberg nicht allzu schnell in einen Wahlkampfmodus verfällt. Ich habe mir persönlich vorgenommen, mich nicht auf sinnlose Streitereien einzulassen. Von mir wird man auch keine Zwischentöne hören, die nicht angebracht sind. Ich möchte einen politischen Stil beibehalten, der dem Land gerecht wird und einen gewissen Respekt zum Ausdruck bringt. Man kann allerorts beobachten, wie politische Kultur zerfällt. Das möchte ich für Vorarlberg nicht.
Letztes Jahr haben sie sich vorgenommen, sich mehr Zeit für Familie und Freunde zu nehmen und mehr auf die eigene Gesundheit zu achten. Haben Sie sich an diese Vorsätze gehalten?
Wallner: Ein stückweit. Es ist besser geworden.
Vielen Dank für das Gespräch.