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Ehemaliger Richter und Buchautor Mück: “Es gibt anständige Verbrecher”

27.11.2024 • 09:19 Uhr
Ehemaliger Richter und Buchautor Mück: "Es gibt anständige Verbrecher"
Die NEUE hat Peter Mück zu Hause besucht. Hartinger

Der langjährige Strafrichter Peter Mück (75) über sein Buch „Freude am Strafen hat nur der Teufel“, bewegende Fälle, menschliche Abgründe und wie er schon als Kind gelernt hat, “wie man mit der Wahrheit lügen kann”.


In der ersten Geschichte ihres Buches wird man als Leser direkt hineingeworfen in die Realität des Richterdaseins. Es ist ihr erster Tag im Amt und sie müssen in Vertretung eines anderen Richters eine bereits getroffene Entscheidung durchsetzen, nämlich ein kleines Mädchen gegen den Willen des Vaters, an den es sich klammert, in die Fürsorge der Mutter übergeben. Ein aufwühlender Einstieg, sowohl für den Leser als auch für Sie als junger Richter.  
Peter Mück: Ja, das war eine Woche nach meiner Amtseinführung und ich muss dazu sagen, dass mir in meiner Zeit als Rechtspraktikant und Richteramtsanwärter nichts beigebracht wurde, weil ich nur als Schriftführer ausgenützt wurde. Vor dem Bezirksgericht, an das ich als Vertretung eines Richters berufen wurde, stand eine Traube von Menschen. Ich wusste nicht, was los war. Ich habe herumtelefoniert und es wurde mir schnell klar, dass niemand mit dem Fall zu tun haben wollte. Es haben mich alle verlassen bis auf den späteren Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, der damals noch Richteramtsanwärter war (Eckart Ratz, Anm. d. Red.). Es gab ein gewaltiges Medienecho, die Zeitung schrieb von einer „amtlichen Kindesentführung“.  Später hat sogar der Justizminister bei mir zu Hause angerufen. Meine Mutter ist damals fast gestorben, als ich ihm gesagt habe: „Das geht sie nichts an!I

Am Ende dieser Geschichte schreiben Sie, dass Ihnen nach diesem Tag bewusst geworden sei, dass Tränen sie begleiten werden. Und? Wurden Sie von Tränen begleitet in ihrer langen Richterlaufbahn?
Mück: Ja, oft. Manchmal hätte ich fast in ihnen aus dem Verhandlungssaal schwimmen können.

Waren Ihnen die Fälle, die sie in ihrem Buch erzählen, nach all den Jahren eigentlich noch präsent oder mussten sie tief in alten Akten graben?  
Mück: Ich habe alle meine Urteile aufgehoben, das sind tausende. Da konnte ich einiges herauslesen. Aber die größeren Fälle sind mir in Erinnerung geblieben.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Fälle ausgewählt?
Mück: Ich habe Fälle ausgesucht, die entweder von der Tat oder von der menschlichen Seite her interessant sind. Ich wollte nicht nur über Vergewaltigungs- oder Mordverfahren schreiben.

Ehemaliger Richter und Buchautor Mück: "Es gibt anständige Verbrecher"
Das bucht erscheint am 29. November im Bucher Verlag. Hartinger

Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, ein Buch zu schreiben?
Mück: Als Richter ist man ja eine öffentliche Person und ich wurde wegen meiner Entscheidungen immer wieder mit Unverständnis und Vorwürfen konfrontiert. Wenn ich dann versucht habe zu erklären, wie es zu dieser oder jener Strafe gekommen ist, hat es immer wieder geheißen, „Schreib doch ein Buch“. Als Corona kam, habe ich es geschrieben.

Wie sind Sie beim Schreiben vorgegangen?
Mück: Ich habe es zuerst diktiert und dann zwei Mal von Hand geschrieben. Die „Reinschrift“ haben meine Söhne auf den Computer übertragen. Dann ist es in der Schublade gelandet, bis meine Söhne es wieder in die Hand genommen haben.

Ein Buch zu schreiben ist ja was anderes als ein Urteil. Wie schwer ist Ihnen die Arbeit gefallen?
Mück: Überhaupt nicht schwer. Mich hat die Sprache schon immer fasziniert – etwa wie man mit Wahrheit lügen kann. Dazu fällt mir ein: Ich hatte eine harte Kindheit, aber meine Mutter bestand darauf, dass ich zur Erstkommunion einen Maßanzug trage. Den hat sie sich vom Mund abgespart. Nach der Erstkommunion bin ich über einen Zaun geklettert, wobei meine Hose kaputtgegangen ist. Ich habe damals meiner Mutter gesagt, dass ich mir die Hose an einem Nagel in der Kirchenbank aufgerissen hatte. Damals habe ich gemerkt, wie man mit Wahrheit lügen kann.

Ehemaliger Richter und Buchautor Mück: "Es gibt anständige Verbrecher"
Peter Mück stellt das Buch am Donnerstag vor.. Hartinger

Was sollen die Leser aus Ihrem Buch mitnehmen?
Mück: Eine differenzierte Betrachtungsweise und ein gewisses Verständnis für die Schicksale und Verzweiflung der Menschen. Es ist eben nicht alles schwarz-weiß, es sind viele Grautöne dabei. Und es gibt tatsächlich nichts, was es nicht gibt.

Gibt es einen Fall aus Ihrem Buch, der Sie besonders bewegt hat?
Mück: Da gibt es viele. Besonders bewegt haben mich natürlich jene Fälle, bei denen man weiß, dass man am nächsten Tag eine Familie kaputt macht, weil man beispielsweise einen Familienvater verurteilen und einsperren muss.

Stumpft man mit der Zeit ab?
Mück: Nein, ich zumindest nicht.

Wie schwierig ist es, als Richter Emotionen fernzuhalten?
Mück: Das muss man, aber es geht nicht immer. Der Job bringt wie gesagt ein Meer aus Tränen mit sich – von Opfern, Tätern, Angehörigen, Müttern, Freunden und Ehefrauen.

In der Geschichte „21 Minuten“ manipuliert ein Arzt den Todeszeitpunkt einer krebskranken Frau, um ihrem Witwer und seinem Freund den Anspruch auf eine Lebensversicherung zu sichern. Was sagt dieser Fall über die Grauzone zwischen Recht und Moral aus?
Mück: Es klingt widersprüchlich, aber es gibt anständige Verbrecher. In diesem Fall waren Freundschaft und Hilfe wichtiger als die Wahrheit und Rechtmäßigkeit. Das hat mir sehr imponiert. Ich dachte mir, so einen Freund müsste man haben.  Eine Strafe war allerdings unausweichlich. Sie ist aber milde ausfallen.

Ehemaliger Richter und Buchautor Mück: "Es gibt anständige Verbrecher"
Richter Peter MŸck;Peter Mück war von 1979 bis 2014 Richter. In dieser Zeit hat er tausende Urteile gesprochen. Hartinger

Auch das Richteramt erfordert Empathie. Was braucht es noch für diesen Beruf?
Mück: Grundvorsetzung ist klarerweise eine genaue Gesetzeskenntnis. Aber sie sagen es, es braucht ein gewisses Einfühlungsvermögen. Man muss nicht nur die Tat, sondern auch den Menschen sehen.

Garantiert also auf Dauer nur der Charakter des Richters Gerechtigkeit?
Richter: Es geht darum, nicht über den niedrigsten Zaun zu springen – und das bedeutet Arbeit.

Wie wichtig ist es, zu zweifeln?
Mück: Sehr wichtig. Auch dazu gibt es eine Geschichte in dem Buch. Eine Vergewaltigung in einem Wintersportort. Die Indizienlage gegen den Angeklagten war schwerwiegend, doch er beharrte auf seine Unschuld. Zum Glück ist mir dann noch vor der Hauptverhandlung etwas ausgefallen im Akt, sonst hätte ich den Mann sicher zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt. Es wäre ein gewaltiges Fehlurteil gewesen.

Immer wieder werden Forderung nach „kurzem Prozess“ und härteren Strafen laut. Wie stehen Sie zu diesem gesellschaftlichen Druck auf die Justiz?
Mück: Wenn ich der Gerechtigkeit halbwegs nahekommen will, geht es nicht kurz. In den großen politischen Verfahren sind oft die Anwälte schuld, weil sie gegen jeden Beschluss opponieren. Und die Strafrahmen sind hoch genug, man schöpft sie eh nicht aus.

Ehemaliger Richter und Buchautor Mück: "Es gibt anständige Verbrecher"
Mück im NEUE-Interview. Hartinger

Wie stehen Sie zur viel diskutierten Herabsetzung der Strafmündigkeit?
Mück: Nichts. Wenn ich Zwölfjährige einsperre, züchte ich sie als Verbrecher.

Was würde Sie sich von den Medien wünschen im Umgang mit Strafverfahren.
Mück: Ich würde mir wünschen, dass nicht nur über Strafprozesse geschrieben wird, sondern auch zivilrechtliche Sachen beleuchtet werden. Unter anderem sollte man Jugendlichen aufzeigen, wie sie ihr Leben verpfuschen können, wenn sie irgendwelche Dinge anstellen.

Haben Sie selbst einmal das Gesetz gebrochen?
Mück: Ich habe schon einige Strafzettel bekommen. In meiner Zeit als Richter habe ich das Auto auf meine Frau angemeldet, damit sie die Verfügungen bekommt. Meinen Kindern habe ich dann immer gesagt: Schaut mal, wie schnell die Mama wieder gefahren ist.“ Lange haben sie mir das aber nicht geglaubt. Und als alter Pfadfinder habe ich gelegentlich mal verbotenerweise einen Baum umgehauen.

Geht Ihnen das Richtersein eigentlich ab?
Mück: Die Juristerei geht mir nicht ab, denn ich mache ja noch private Rechtsberatungen. Aber die Arena, die fehlt mir.

Buchvorstellung

Peter Mück stellt sein Buch “Freude am Strafen hat nur der Teufel” am Donnerstag, 28. November, 19 Uhr, im Vinomnasaal in Rankweil vor. Eingangs spricht der forensische Gutachter und Psychiater Reinhard Haller, der auch das Vorwort geschrieben hat, zum Thema „Psychologie des Bösen“. Moderiert wird der Abend von Albert Ruetz. Für die musikalische Umrahmung sorgt das Ensemble Konz:art. Veranstaltet wird der Abend von den Altpfadfindern Rankweil in Kooperation mit der Marktgemeinde Rankweil und der Raiffeisenbank Montfort.

Peter Mück, Freude am Strafen hat nur der Teufel, Bucher Verlag GmbH, 416 Seiten, Hardcover, ISBN: 978-3-9901872-4-1