Wie man sich an Weihnachten nicht einsam fühlt

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Weihnachten ist ein Fest des Zusammenseins. Wer die Feiertage alleine verbringt, kann sich womöglich einsam fühlen. Der Leiter der ifs-Familienberatung Michael Thaler gibt Tipps, wie man diesem Empfinden der Einsamkeit entgegenwirken kann.
1. Warum ist die Einsamkeit zu Weihnachten besonders groß?
Michael Thaler: Einsamkeit kann an Weihnachten als besonders belastend erlebt werden, da dieses Fest traditionell als Familienzeit, als Zeit des Zusammenseins betrachtet wird. Haben Menschen keine engen Beziehungen oder keine Möglichkeit, die Feiertage mit anderen zu verbringen, kann dies zu einem verstärkten Gefühl der Einsamkeit führen. Zudem können Erinnerungen an vergangene Weihnachtsfeste oder gesellschaftliche Erwartungen dazu beitragen, dass sich Einsamkeit intensiviert. Zeiten der Einsamkeit gibt es während des ganzen Jahres – nicht nur an Weihnachten. Weihnachten vermag es aber, diese zu verstärken. Dass nicht mehr die ganze Familie an einem Ort lebt, mag erschwerend hinzukommen, aber oft finden Familien auch bei geografischen Herausforderungen Möglichkeiten, Weihnachten gemeinsam zu verbringen.

2. Muss das Alleinsein automatisch auch Einsamkeit bedeuten?
Thaler: Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, das in der Regel als negativ eingestuft und nicht willentlich herbeigeführt wird. Alleinsein hingegen ist oftmals eine Entscheidung – man will alleine sein, zum Beispiel im Rahmen einer Mediation oder einer persönlichen Auszeit.
3. Wie kann man trotz dem Alleinesein nicht einsam sein?
Thaler: Für positive Stimmung, ein positives Gefühl sorgen! Es sich zu Hause gemütlich machen – ein besonderes Essen, die passende Musik, ein Buch oder Film können schon helfen. Ansonsten Anschluss suchen, was auch schon durch ein Telefonat gelingen kann. Wie schon erwähnt: Es gibt auch Menschen, die es genießen, alleine zu sein, weil sie etwa darin ihre Ruhe und innere Zufriedenheit finden.
4. Unser perfektes Bild von Weihnachten stammt unter anderem aus unserer Kindheit oder kitschigen Filmen. Sind unsere Erwartungen zu groß?
Thaler: Ich würde sagen: Ja! Viele Vorstellungen werden medial hochstilisiert und entsprechen nur selten der Realität. Diese Idealvorstellungen lassen sich – wenn überhaupt – oft nur mit großem Zeit- und Kraftaufwand realisieren! Weihnachten gilt als Fest der Liebe und als Familienzeit. Man träumt von besinnlichen, friedvollen Weihnachten in Harmonie. Die Realität bringt meist auch Stress und Druck sowie Enttäuschungen mit sich. Und je höher die Erwartungen sind, umso höher ist dann auch oftmals die Enttäuschung.
5. Wie kann Social Media die Einsamkeit zusätzlich verstärken? Welchen Umgang mit dem Smartphone raten Sie an den Feiertagen?
Thaler: Ein wesentliches Kriterium ist hier die Zeit. Wer viel Zeit mit Social Media verbringt, hat weniger Zeit für tatsächliche Face-to-Face-Kommunikation. Zusätzlich sehen wir Bilder und Videos von Partys, Unternehmungen und Ähnlichem, zu denen wir nicht eingeladen sind, an denen wir nicht teilnehmen können. Ebenso wird uns ein falsches Bild vermittelt: Alles glänzt, ist toll, alle sind glücklich! Bilder zum Stress, zum Konflikt mit dem Partner oder der Partnerin oder zur Armut sind auf Social Media nicht zu finden. Es wird eine einseitige und damit unrealistische Realität vermittelt. Was die Nutzung des Smartphones über die Feiertage anbelangt, rate ich nichts anderes als während des restlichen Jahres: Das Smartphone bewusst nutzen – und dann auch wieder weglegen und sich anderen Beschäftigungen widmen.
6. Besonders schwer sind die Weihnachtsfeiertage für die Menschen, die erst kürzlich eine nahestehende Person verloren haben. Was raten Sie diesen?
Thaler: Die Trauer nicht zu unterdrücken. Der Verlust eines lieben Menschen schmerzt sehr, ganzjährig und eventuell verstärkt zu Weihnachten. Es kann helfen, bewusst den Stuhl des Verstorbenen freizuhalten, ein Foto aufzustellen, in Erinnerung eine Kerze anzuzünden. Geschichten aus dem Leben des Verstorbenen, Erinnerungen an diese Person schaffen eine Verbindung zum fehlenden Menschen. Und manchmal erinnert man sich auch an lustige Ereignisse, die einen zum Lachen bringen. Wichtig ist, dass man das Fest nicht nach den Erwartungen der anderen ausrichtet. Was an bekannten Ritualen und Traditionen hilft, sollte man beibehalten. Es kann auch eine Hilfe sein, im Vorfeld zu Weihnachten Aktivitäten zu planen – zum Beispiel sich zu verabreden oder Veranstaltungen zu besuchen. Das kann für Abwechslung sorgen.
7. Welche Veranstaltungen oder Angebote könnte ich besuchen, um in Gesellschaft zu sein?
Thaler: Diesbezüglich ist das Angebot sehr vielfältig. Es gibt viele Weihnachtsmärkte, (vor-)weihnachtliche Veranstaltungen in allen Pfarren oder auch verschiedenste kulturelle Veranstaltungen. Die jeweiligen Gemeinden und Pfarren geben hier gerne Auskunft.

8. Wie können Personen die Zeit zu Weihnachten sinnvoll nutzen, wenn sie nicht alleine zu Hause sein wollen?
Thaler: Indem ich zum Beispiel lokale Aktionen unterstütze, um Hilfsbedürftigen zu helfen. Der Dank, den man hier erhält, ist unbeschreiblich!
9. Wo finde ich Gleichgesinnte?
Thaler: Es gibt unzählige Menschen, die sich einsam fühlen und gerne die Verbundenheit zu anderen Menschen spüren würden. In Vorarlberg gibt es verschiedenste Angebote, zum Beispiel die Aktion „Gemeinsam statt Einsam“ im Austriahaus in Bregenz. Auch hier informieren die Gemeinden und Pfarren gerne über Veranstaltungen.
10. Kann eine Reise die Lösung sein, um die Einsamkeit an Weihnachten zu umgehen?
Thaler: Eine Reise kann eine positive Stimmung hervorrufen und somit der Einsamkeit entgegenwirken. Zudem lädt ein Ortswechsel ein, Neues zu erkunden. Aber Vorsicht: Wenn ich gerade in Trauer bin, weil ein geliebter Mensch verstorben ist oder eine Trennung oder Scheidung stattgefunden hat, dann wird mich das Gefühl der Traurigkeit auch während der Reise begleiten. Eine Reise alleine ist somit kein Garant, der Einsamkeit zu entgehen.
11. Wie kann ich mir den 24. Dezember auch alleine zu Hause für mich selbst schön gestalten? Welche Rolle spielen dabei Traditionen?
Thaler: Ich rate dazu, sich ganz auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren. Ich dekoriere meine Wohnung nach meinen Vorstellungen, beschäftige mich mit den Dingen, die mir gefallen und esse zudem, was ich will – selbstgekocht oder selbstbestellt beim Lieferdienst. Traditionen binden sich an das Vergangene und prägen die Gegenwart. Sie vermitteln uns ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit. Man erahnt Bevorstehendes und verbindet es in der Regel mit einem angenehmen Gefühl. Traditionen dürfen aber auch verändert werden, dadurch können neue Traditionen entstehen.
12. Welche weiteren Tipps würden Sie Menschen geben, die derzeit womöglich Angst davor verspüren, sich an den Feiertagen einsam zu fühlen?
Thaler: Kontakte knüpfen! Das mag zwar, zum Beispiel aufgrund von Scham oder der Angst vor Ablehnung, herausfordernd sein, doch alleine schon sich über Gesprächsangebote, gemeinsame öffentliche Feiern oder Aktivitäten zu informieren, kann Erleichterung und auch die Erkenntnis bringen: Ich bin nicht allein. Breits ein Spaziergang hilft, dass man sich unter Menschen befindet.