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Parteiaustritt von Franz Fischler? “Kickls Kurs bricht mit Grundwerten”

12.01.2025 • 07:00 Uhr
Parteiaustritt von Franz Fischler? "Kickls Kurs bricht mit Grundwerten"
Franz Fischler im Rahmen seines Besuchs in Frastanz im Gespräch mit der NEUE am Sonntag. Stiplovsek


Franz Fischler, ehemaliger EU-Agrarkommissar und ÖVP-Urgestein, bestätigt der NEUE am Sonntag seine geplante Abkehr von der Volkspartei, wenn sie Herbert Kickl zum Bundeskanzler macht.

NEUE am Sonntag: Sie haben kürzlich Ihren Unmut über die aktuellen Koalitionsverhandlungen geäußert. Welche Gefahren sehen Sie in einer Zusammenarbeit mit der Kickl-FPÖ?

Franz Fischler: Meine Wortmeldung war als klare Warnung gedacht. Ich hatte gehofft, dass mit einer entsprechenden Anstrengung eine Dreier-Koalition möglich sein würde. Als sich dann abzeichnete, dass dies scheitert, war klar: Der Schaden ist enorm, sowohl für die politische Kultur als auch für die gesellschaftliche Stabilität. Die jetzige 180-Grad-Wende der ÖVP ist bemerkenswert, um nicht zu sagen irritierend. Herbert Kickl hat in den letzten Tagen den Verhandlungsbeginn genutzt, um die ÖVP-Länder regelrecht in die Knie zu zwingen. Das war ein Akt der Demütigung, den die ÖVP nun hinnehmen muss. Die zentralen Alternativen – Neuwahlen oder eine Konzentrationsregierung aus Experten – stehen zwar noch im Raum, aber die Option einer Koalition mit der FPÖ wird offenbar favorisiert. Ich bin allerdings skeptisch, dass dies zu einer stabilen Regierung über fünf Jahre führt. Politische Erfahrung zeigt, dass der Juniorpartner einer solchen Konstellation häufig als Verlierer hervorgeht. 

Parteiaustritt von Franz Fischler? "Kickls Kurs bricht mit Grundwerten"
Als ehemaliger EU-Kommissar stößt ihm das EU-feindliche Verhalten von Herbert Kickl sauer auf. Stiplovsek

NEUE am Sonntag: Stehen Sie zu Ihrem Wort, dass Sie die Partei verlassen, falls sie Herbert Kickl zum Kanzler macht?

Fischler: Absolut. Das ist keine neue Ankündigung, sondern eine Haltung, die ich schon vor einem Jahr öffentlich gemacht habe.

Parteiaustritt von Franz Fischler? "Kickls Kurs bricht mit Grundwerten"
Fischler sieht seine ÖVP mit einer Zerreißprobe konfrontiert. Stiplovsek

NEUE am Sonntag: Innerhalb der ÖVP gibt es unterschiedliche Meinungen zu dieser Kehrtwende. Wie nehmen Sie die Stimmung in der Partei wahr?

Fischler: Die ÖVP ist innerlich tief gespalten. Das hat viele Mitglieder und Funktionäre verunsichert. Die Entscheidungsträger stehen unter immensem Druck, von außen und innerhalb der eigenen Reihen. Es herrscht klare Frustration darüber, dass die ÖVP sich möglicherweise der FPÖ unter Kickl beugt. Früher gab es innerhalb der FPÖ zumindest noch pragmatische und kooperative Kräfte, mit denen eine Zusammenarbeit möglich war. Heute sehe ich das nicht mehr. Der Kurs von Kickl – insbesondere seine Aussage, dass „das Recht der Politik zu folgen habe“ – ist für viele in der ÖVP ein Bruch mit den Grundwerten. Das ist nicht nur eine Frage der Politik, sondern eine Infragestellung der Rechtsstaatlichkeit und unserer Demokratie. Besonders brisant ist zudem der EU-feindliche Kurs, der viele in der ÖVP alarmiert. Es steht viel auf dem Spiel – nicht nur parteipolitisch, sondern auch für Österreichs Rolle in Europa.

Parteiaustritt von Franz Fischler? "Kickls Kurs bricht mit Grundwerten"
Franz Fischler war für die große EU-Agrarreform 2003 verantwortlich. Stiplovsek

NEUE am Sonntag: Dieses Jahr feiern wir 30 Jahre EU-Mitgliedschaft. Wie bewerten Sie die Entwicklung Österreichs in der EU, gerade im Hinblick auf einen EU-feindlichen Kurs der FPÖ?

Fischler: Die Mitgliedschaft in der EU war für Österreich ein Erfolg auf ganzer Linie. Die Öffnung der Märkte hat enorm zum wirtschaftlichen Wohlstand beigetragen. Sollte jedoch die FPÖ ihre EU-feindlichen Positionen durchsetzen, riskiert Österreich, zum Außenseiter innerhalb der Gemeinschaft zu werden. Das betrifft nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Entscheidungen. Ein Bundeskanzler Kickl könnte durch die Einstimmigkeitspflicht im Europäischen Rat wichtige Entscheidungen blockieren – sei es in der Außenpolitik, bei Sicherheitsfragen oder in der EU-Finanzierung. Das hätte dramatische Konsequenzen. Die EU steht zudem vor großen internen Herausforderungen. Sie muss Entscheidungsmechanismen reformieren und sich an die wirtschaftlichen und geopolitischen Realitäten anpassen. Sollte Österreich diese Entwicklungen blockieren oder sich isolieren, gefährden wir nicht nur unseren Wohlstand, sondern auch unsere politische Handlungsfähigkeit.

Parteiaustritt von Franz Fischler? "Kickls Kurs bricht mit Grundwerten"
Die NEUE am Sonntag traf das ÖVP-Urgestein im Frastanzer Rathaus. In der Marktgemeinde hielt er anlässlich des Neujahrsempfangs einen Vortrag.Stiplovsek

NEUE am Sonntag: Als ehemaliger EU-Agrarkommissar haben Sie wichtige Reformen umgesetzt. Worauf sind Sie besonders stolz?

Fischler: Die Reform der Agrarpolitik 2003 war die größte in der Geschichte der EU. Sie trug wesentlich dazu bei, den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu verlangsamen und den Landwirten neue Perspektiven zu bieten. Rückblickend sehe ich jedoch auch Schwächen. Themen wie der Klimawandel, der Verlust der Artenvielfalt und die Ernährungssicherheit waren damals noch keine zentralen Diskussionen. Heute sind sie essenziell. Bedauerlich finde ich, dass es mir nicht gelungen ist, eine gerechtere Förderung der Kleinbauern durchzusetzen. Mein Vorschlag, die ersten Hektar landwirtschaftlicher Fläche höher zu fördern als die folgenden, wurde von Deutschland und Frankreich blockiert. Das hätte insbesondere den kleineren Betrieben geholfen, die heute unter enormem wirtschaftlichem Druck stehen.

NEUE am Sonntag: Die ÖVP verliert die Gunst der bäuerlichen Wählerschaft an die FPÖ. Woran liegt das?

Fischler: Die FPÖ hat es geschafft, mit einer Mischung aus Populismus und gezielten Narrativen Vertrauen in der bäuerlichen Bevölkerung zu gewinnen. Themen wie Bürokratie und Globalisierung werden dramatisiert und instrumentalisiert. Hier hat die ÖVP versäumt, überzeugend gegenzusteuern. Die Partei muss wieder glaubwürdige Lösungen präsentieren, die die Anliegen der Landwirte ernst nehmen und klare Perspektiven bieten.

NEUE am Sonntag: Was erwarten Sie von den Koalitionsverhandlungen?

Fischler: Ich gebe keine Ratschläge. Das müssen die Verhandler selbst entscheiden. Klar ist jedoch, dass jede Entscheidung weitreichende Konsequenzen haben wird – für die Partei, für Österreich und für unsere Stellung in der EU. Die ÖVP muss sich bewusst sein, welche Verantwortung sie trägt.

(NEUE am Sonntag)