Harder bekommt zwei Hauben mit Wiener Lokal

Manuel Künz verzichtet auf weiße Tischdecken. Er zeigt, dass man durch Qualität auch mit lockerem Umgangston von Gault Millau ausgezeichnet wird.
Weiße Tischdecken, Kellner, welche die Gäste siezen, oder steife Umgangsformen gibt es im Restaurant Wildling keine. Trotzdem hat das Wiener Lokal vor kurzem vom Gault Millau mit 14 Punkten zwei Hauben verliehen bekommen.

„Grundsätzlich haben wir nicht damit gerechnet“, beschreibt Geschäftsführer Manuel Künz, wie unerwartet das für ihn kam. Er habe zwar gewusst, welche Qualität auf dem Teller im Wildling lande, ergänzt er. Doch aufgrund des lockeren Umgangs – „Wir sind mit jedem Gast per du“ – habe er nicht damit gerechnet. „Da wir uns dem klassischen Bild der Spitzengastronomie nicht gebeugt haben, ist es noch überraschender für uns“, so Künz. Diesem Konzept der Bodenständigkeit will er treu bleiben. Trotz der Hauben will er die Preise nicht erhöhen. Denn das Publikum ist bunt durchmischt, und das Lokal soll für alle erreichbar bleiben. Um eine Anpassung der Preise wegen der Inflation kommt freilich auch er nicht herum.

Einjähriges Bestehen
Die Auszeichnung ist nicht das Einzige, was es im modernen Tapaslokal in der Josefstadt zu feiern gibt. Am 21. Dezember ist das einjährige Jubiläum. Im vergangenen Jahr hat der gebürtige Harder das Lokal in Wien eröffnet. Durch das Bundesheer ist er vor elf Jahren nach Wien gekommen und aufgrund der Liebe dort geblieben. Mit seiner Frau aus Niederösterreich und den gemeinsamen zwei Kindern (drei und fünf Jahre alt) wohnt er jetzt an der Stadtgrenze von Wien.

Auch wenn es zu Beginn durch die Pandemie nicht immer einfach war, hat sich Künz nicht unterkriegen lassen. „Weil wir während dem Lockdown eröffnet haben, sind wir durch alle Raster gefallen und haben keinen Cent Hilfe bekommen“, berichtet Künz. Er habe mit den Fixkosten draufgezahlt.
Doch die Pandemie hatte nicht nur negative Seiten für den Quereinsteiger. Der früher in der Sport- und Eventbranche tätige 31-Jährige hatte immer schon den Traum, ein Restaurant zu eröffnen.
Vergangenes Jahr war dann der richtige Zeitpunkt gekommen. Die Lockdowns hätten viele Gastronomiebetriebe nicht überlebt, was ein großes Angebot an günstigen Locations und eine gleichzeitig geringe Nachfrage nach Standorten zur Folge gehabt hätte, erzählt Künz. Diese Lokalität musste jedoch erst umgestaltet werden, denn früher war es ein „ranziges Bierpub“. Damit die Küche den neuen Anforderungen gerecht wird, wurde diese ausgehöhlt und neu gebaut. Im Gastraum wurde sowohl ein Kunststoffboden als auch die Decke entfernt, wodurch Kalkfliesen und Ziegelsteine in dem 300 Jahre alten Gebäude zum Vorschein kamen. Ein ukrainischer Künstler bemalte die Wände.

Künz war sich von Beginn an bewusst, dass er als Quereinsteiger Profis an seiner Seite braucht, um ein Restaurant auf dem entsprechenden Niveau betreiben zu können. Denn er wollte es „ghörig“ machen. „Man muss sich bewusst sein, was man kann und was nicht“, erklärt Künz. Deswegen hat er sich Küchenchef Wernher Schörkmayr und Restaurantleiter Mateusz Dybikowski ins Boot geholt.
Nach Vorbild von Oma
Selbst hält sich Künz jedoch keinesfalls im Hintergrund. Er ist im Restaurant präsent, erklärt den Gästen die Karte und serviert auf kleinen bunten Tellern zentraleuropäische Fusionsgerichte. „Der Gästekontakt macht mir Spaß“, so Künz. Ihnen erklärt er dann, dass im Wildling ein „Zero-Waste“-Konzept verfolgt wird. So wird etwa im Gruß des Hauses sogar die Kartoffelschale verwertet. Das Inventar, wie etwa die Tische, hat Künz vom früheren Bierlokal übernommen. Doch mit dem Begriff „Waste“ hadert der 31-Jährige. „Es impliziert, dass etwas am Lebensmittel Abfall ist“, kritisiert er. Deswegen wolle er weg von dieser Bezeichnung.

Stattdessen nennt er es „back to the roots“, also zurück zu den Wurzeln. Er möchte „Sachen, die für unsere Omas selbstverständlich waren“, in die Gegenwart holen. Wie etwa, dass alles, wie auch der Nudelteig, für die saisonal gefüllten Nudeltaschen selbst gemacht wird. Schörkmayr verzichtet dabei auf Konvenienz und Zusätze.

Mal kein Filet
Beim Fleisch versucht er nach Möglichkeit „from nose to tail“ umzusetzen. Ein Lamm oder ein Huhn kauft er im Ganzen und verarbeitet es komplett. Bei einem Rind sei dies bei 90 Sitzplätzen jedoch nicht möglich. Davon kaufe er Second Cuts, also die unbeliebten Stücke wie Kronensteak oder Herzzapfensteak. „Früher hat man auch nicht nur das Filet gekauft“, erklärt er. „Ich möchte zeigen, dass man da etwas Gutes daraus machen kann“, ergänzt Künz. Früher habe man noch aus Not wenig Lebensmittelabfall produziert. Er ist überzeugt, dass heute jede Branche bewusst auf den ökologischen Fußabdruck schauen müsse, da jeder um dessen Bedeutung wisse.

Essig statt Zitrone
Restaurantleiter Dybikowski hat dieser Aspekt der Nachhaltigkeit sofort überzeugt. In seiner bisherigen Berufslaufbahn sei es immer nur um gastronomische Qualität und Trophäen gegangen. „Im Wildling ist neben der Qualität auch die Nachhaltigkeit wichtig, was viel anspruchsvoller ist“, erklärt er. Neue Wege zu finden, bereitet ihm Spaß. So musste er den Wermut für das Getränk Negroni selbst herstellen, um lange Lieferwege zu vermeiden. Auch hat er in manchen Getränken die Säure der Zitrusfrüchte durch selbstgemachten Essig ersetzt. Dabei richtet er sich jedoch nach den Gästen – Essig funktioniere geschmackstechnisch nicht in jedem Getränk. „Man kann kein Soda-Zitron mit Essig machen“, erklärt er, warum er teilweise nicht auf Zitrusfrüchte verzichten kann.

Keine Tomaten im Winter
Auch bei den Speisen wird aufgrund des Geschmacks das Olivenöl nicht ersetzt. Doch abseits davon wird großteils auf Regionalität gesetzt. Das wird von Künz auf den Umkreis von 60 Kilometern eingegrenzt. Lieferanten werden in der Speisekarte transparent gemacht. Die Karte wechselt alle drei bis sechs Wochen und orientiert sich nach dem saisonalen Angebot der Lieferanten.
Früher habe es im Winter auch keine Tomaten gegeben, so Künz. Im Wildling gibt es nicht-saisonales Gemüse nur eingelegt. Denn Künz setzt in seinem Konzept auch auf „hype Trends“, wie etwa Fermentation oder Einlege. Mit Essig-Salzlake wird etwa Sauerkraut hergestellt, oder Erdbeeren werden eingekocht. Dies stammt auch aus Omas Zeiten.