Politik

“Dass Dreier-Koalitionen nicht funktionieren, hat die Geschichte gezeigt”

16.11.2024 • 17:00 Uhr
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Mit 33 Jahren ist Christof Bitschi der jüngste Landesstatthalter in der Geschichte Vorarlbergs. Hartinger

Der neue Landesstatthalter Christof Bitschi will in den „Umsetzungsmodus“ kommen. Im Interview spricht er zudem über die Regierunsverhandlungen in Wien und das Verhältnis zur Bundes-FPÖ und Herbert Kickl.

Herr Bitschi, unter Ihnen ist die FPÖ zum ersten Mal seit 2009 wieder in der Vorarlberger Landesregierung. Wie ist Ihre erste Woche als Landesstatthalter verlaufen?

Christof Bitschi: Es war ein starker Seitenwechsel aus der Rolle des Oppositionschefs in die Regierungsfunktion. Aber wenn man sich mit den Abteilungen unterhält, merkt viel Dynamik und viel Sehnsucht nach Umsetzung. Die Bilanz nach der ersten Woche ist absolut positiv.

Die FPÖ holte 10 Prozent mehr als die Grünen bei der Landtagswahl 2019 und hat trotzdem nur zwei Sitze in der Regierung. Hätte eine 4:3-Aufteilung nicht viel eher dem Wahlergebnis entsprochen?

Bitschi: Es gab unterschiedliche Berechnungsformate. Bei der ÖVP hat man 5:2 vorausgesagt, bei uns waren manche von 4:3 überzeugt. Mir waren Positionen während der Wahl nicht unbedingt das Wichtigste, sondern das Gesamtpaket fürs Land. Da haben wir ein Regierungsprogramm, das sich um die aktuellen und zukünftigen Themen kümmert, die Schwerpunktsetzung werden wir wahrscheinlich noch diskutieren. Wir haben Schüsselressorts mit den Bereichen Sicherheit, Infrastruktur, Familie und Energie bei uns.

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Die FPÖ habe die Schlüsselressorts in der Landesregierung, zeigt sich Bitschi zufrieden mit dem Ausgang der Verhandlungen. Hartinger

Einige Wunschressorts hat aber auch die ÖVP erhalten. So wurde etwa kolportiert, Sie hätten das Sportressort gerne gehabt.

Bitschi: Optisch bin ich wahrscheinlich der Sportlichste in der Landesregierung, darum wäre es gar nicht so schlecht gewesen, wenn der Sport zu mir gegangen wäre (lacht). Am Schluss war es ein Gesamtpaket aus Inhalten und Ressorts, in denen sich beide Parteien wiederfinden können.

Wo waren für Sie die roten Linien in den Verhandlungen? Welche Punkte waren für Sie Koalitionsbedingung?

Bitschi: Ich habe es nie als sinnvoll empfunden, im Vorhinein roten Linien zu definieren. Uns beiden war wichtig, das Standortthema in den Fokus zu rücken, denn wir erleben momentan eine wirtschaftliche schwierige Situation für den Standort Vorarlberg. Mit einer der wichtigsten Punkte ist für mich die Entbürokratisierung. Durch eine eigene Schlüsselstelle können wir in den nächsten Jahren wirklich entbürokratisieren. Ansonsten haben wir viele gemeinsame Schwerpunkte gesetzt, den Familien- und den Sicherheitsbereich haben wir uns beide auf die Fahnen geschrieben. Darum war nicht so, dass wir sehr intensiv über große Themen diskutiert haben, sondern mehr in den Umsetzungsmodus kommen.

v.l. Landeshauptmann Markus Wallner ÖVP und Christof Bitschi FPÖ
Wallner und Bitschi bei den Gesprächen zur Regierungsbildung. Stiplovsek

Wie viel kann die von Ihnen erwähnte Entbürokratisierungsstelle auf Landesebene ausrichten? Viele Vorgaben kommen von Bundes- oder EU-Ebene.

Bitschi: Es gibt EU-Themen, Bundes-Themen und Landes-Themen, was die Entbürokratisierung betrifft. Uns war wichtig, dass es eine Umsetzungsstelle gibt. Mit der Verantwortung vom Landeshauptmann und von mir kann zentral an der Umsetzung gearbeitet werden. Es gibt viele Bereiche, die wir auf Landesebene auch lösen können und es wird auch Themen geben, wo wir gemeinsam in Wien und in Brüssel vorstellig werden müssen. Die Druckkraft dahinter mit zwei Regierungsspitzen ist entscheidend.

Markus Wallner hat von seiner Seite zur Koalitionsbedingung gemacht, dass die FPÖ einen EU-freundlichen Kurs fährt. War das in den Regierungsverhandlungen ein Thema?

Bitschi: Es war kurz Thema, dass wir eine gemeinsame EU-Position formulieren. Vorarlberg ist ein Exportland mit 60 Prozent Exportquote, zentral ist aber die Weiterentwicklung der Europäischen Union. Es gibt viele Beispiele, die auf europäischer Ebene nicht funktionieren und das werden wir auch weiter sehr kritisch ansprechen. In Summe war es in den Verhandlungen aber kein großer Eckpfeiler.

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In den Verhandlungen haben man kurz eine gemeinsame EU-Position formuliert, so Bitschi. Hartinger

Wallner betont auch immer wieder, Vorarlberg ist keine Filiale von Wien. Wie intensiv ist der Kontakt zwischen Ihrer Landes-FPÖ und der Bundes-FPÖ mit Herbert Kickl?

Bitschi: Wir sind einer Meinung, dass Vorarlberg keine Filiale von Wien sein darf. Die Entwicklungen in den letzten Jahren unter Schwarz-Grün, wo Ministerin Gewessler standortfeindliche Politik über die Achse der Regierungsbeteiligung in Vorarlberg ausgeübt hat, hat dem Wirtschaftsstandort Vorarlberg massiv geschadet. Wir sind froh, dass es zumindest so ausschaut, als ob die Frau Gewessler nicht mehr in der Regierung sein wird – obwohl eine stabile Bundesregierung in den nächsten Wochen und Monaten nicht realistisch scheint. Die Abstimmungen innerhalb der FPÖ waren immer sehr offen. Herbert Kickl führt die Partei so, dass er auf Bundesebene entscheidet, was richtig ist, lässt den Landesparteileuten aber auch den Spielraum. Andere Parteien sind da mehr Wien-hörig. Wir werden den Kurs so weiterfahren wie in den vergangenen Jahren.

Sie haben die schleppende Regierungsbildung in Wien angesprochen. Momentan sondieren ÖVP, SPÖ und Neos, während die FPÖ als stärkste Kraft keinen Regierungsbildungsauftrag bekommen hat. Wie bewerten Sie diese Entscheidung des Bundespräsidenten?

Bitschi: Ich habe es von Anfang an sehr kritisch kommentiert, dass die stärkste Partei nicht den Regierungsauftrag bekommt. In der Vergangenheit war das bisher Usus. Wenn ich mit der Bevölkerung spreche, gibt es eine breite Mehrheit, die das absolut nicht versteht, nicht nur Freiheitliche. Das war sicher ein Fehler vom Bundespräsidenten. Ich glaube, dass in den nächsten Wochen keine stabile Regierung zusammenkommt. Das wäre aber wichtig, denn wir steuern wirtschaftlich auf ganz schwierige Zeiten zu. In Wien gibt es keine Regierung und in Deutschland wurde sie in die Luft gesprengt. Im Unterschied dazu hat man es in Vorarlberg geschafft, mit viel Herzblut und Energie innerhalb von drei Wochen eine stabile Regierung umzusetzen und jetzt können wir arbeiten.

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Bitschi empfing die NEUE am Sonntag an seinem neuen Arbeitsplatz: Im Landesstatthalterbüro Hartinger

Wie Sie erwähnt haben, wurde die Ampelkoalition in Deutschland aufgelöst. In den USA wurde Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt. Wie bewerten Sie aktuell die geopolitische Lage und ihre Auswirkungen auf Vorarlberg?

Bitschi: Ich bin grundsätzlich kein Politiker, der Tipps ins Ausland gibt. Umgekehrt sehe ich es auch nicht gerne, wenn sich Politiker aus dem Ausland in Österreich oder Vorarlberg einmischen. Es gibt jetzt Verschiebungen in Amerika, wir werden sehen, inwieweit sich das wirtschaftspolitisch auf uns auswirkt. Faktum ist, die Dreier-Koalition in Deutschland hat innerhalb von zwei Jahren eine Wirtschaftsmacht an die Wand gefahren. Speziell die Regierungsbeteiligung der Grünen hat sich äußerst negativ auf den Wirtschaftsstandort Deutschland ausgewirkt. Österreich als sehr wichtiger Partner hat diese Probleme zeitverzögert ins Land hineingespielt bekommen. Dass Dreier-Koalitionen nicht funktionieren, hat die Geschichte eigentlich immer gezeigt, darum sehe ich es kritisch, dass in Wien in eine ähnliche Richtung sondiert wird.

Wie sehen Sie den Protest der jüdischen Hochschülerschaft gegen Walter Rosenkranz bei einer Shoa-Gedenkfeier in Wien?

Bitschi: Das ist ein sehr sensibles Thema, das von beiden Seiten auch sehr sensibel angegangen wird. Ich bin da eher jemand, der deeskalierend einwirken will und bin guter Dinge, dass das in Zukunft auch in Wien so sein wird.

ABD0011_20241108 – WIEN – …STERREICH: ZU APA0106 VOM 8.11.2024 – Parlamentsdirektor Harald Dossi und NationalratsprŠsident Walter Rosenkranz (FP…) am Freitag, 08. November 2024, im Rahmen der Kranzniederlegung in Gedenken an die Novemberpogrome in Wien. Die JŸdischen …sterreichischen HochschŸler:innen hatten eine Menschenkette um das Denkmal gebildet und richteten dem Burschenschafter aus: “Wer Nazis ehrt, dessen Wort […]
Den Protest beim Besuch von Walter Rosenkranz auf einer Shoa-Gedenkveranstaltung sieht Bitschi als “sensibles Thema”. APA/Manhart

Im Landtagswahlkampf warb die FPÖ mit einem „Willkommensbonus“ von 2000 Euro pro Neugeborenem und 1000 Euro Familiengeld für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen. Im Regierungsprogramm liest lediglich von einer Erweiterung des Familienzuschusses, die sich aufgrund der angespannten Budgetsituation laut Wallner auch noch ziehen dürfte. Hat sich das Wahlversprechen vom FPÖ-Familienpaket in Luft aufgelöst?

Bitschi: Für uns gab es ein großes Familienpaket und die leicht abgeschwächte Variante war der Willkommensbonus, von dem wir geglaubt haben, dass der in den Koalitionsverhandlungen vielleicht einfacher umsetzbar wäre. Die Erweiterung des Familienzuschusses ist in Wahrheit unser Familiengeld. So gibt es sozial gestaffelt eine Unterstützung für Familien, bei der man im Zusammenspiel mit dem Kinderbetreuungsgeld deutlich über die 1000 Euro kommen wird. In Wahrheit haben wir also mehr erreicht, als wir am Anfang der Verhandlungen erwartet haben. Es stimmt, dass es budgetär momentan nicht einfach ist. Mein großes Ziel ist, dass wir mit Umstrukturierungen diese Erweiterung des Familienzuschusses in Vorarlberg relativ rasch umsetzen können.

Gleichzeitig will die FPÖ die Wahlfreiheit für Familien mit Kindern erhöhen, indem die Kinderbetreuungsplätze ausgebaut werden. Ist das angesichts der großen Pensionierungswelle in der Elementarpädagogik aktuell realistisch?

Bitschi: Die Sicherstellung der Wahlfreiheit war bis dato nicht gegeben. Speziell viele junge Frauen entscheiden sich, die ersten Jahre bei ihren Kindern zu Hause zu bleiben, haben aber die finanzielle Unterstützung in der Vergangenheit nicht bekommen und mussten darum früher wieder arbeiten. Das soll mit der Erweiterung vom Familienzuschuss behoben werden. Auf der anderen Seite ist die vernünftige Weiterentwicklung der Kinderbetreuung für uns sehr wichtig. Das ist eine riesengroße Kraftanstrengung, was das Personal und die Finanzen betrifft, aber auch da werden wir in den nächsten Jahren alle Hebel in Bewegung setzen.

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Ein Blick in den Schrank im Landesstatthalterbüro zeigt eine Uhr mit Bitschis Konterfei und Cowboyhut und ein Buch des Alt-Landeshauptmanns Martin Purtscher. Hartinger

In der Sicherheitspolitik plädieren sie für mehr Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen. Erhöht man so das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung oder fühlen sich die Menschen übermäßig überwacht?

Bitschi: Für all jene Menschen, die sich im öffentlichen Bereich anständig aufführen, ist die Videoüberwachung überhaupt kein Problem. Wir haben immer wieder gehört, dass man sich an öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen nicht mehr sicher fühlt. Diese Tatsache will ich so nicht hinnehmen. Daher ist unser Ziel einerseits, die Präsenz der Sicherheitskräfte auszubauen und andererseits überall dort, wo es Sinn macht, Überwachungskameras auszubauen. Wir werden schnell in intensive Gespräche mit der ÖBB, den VVV, den Gemeinden und Städten treten und überall, wo es Sinn macht, einen vernünftigen Ausbau vorantreiben, damit das Sicherheitsgefühl im Land wieder steigt.

Im Arbeitsprogramm der Regierung sind Deutschkenntnisse zur Vorreihung bei der Vergabe gemeinnütziger Wohnungen verankert. Wie planen Sie hier die konkrete Umsetzung?

Bitschi: Wir wollen, dass sich Menschen, die zu uns kommen, anpassen, integrieren und Leistung erbringen. Im Arbeitsprogramm haben wir ein System definiert, in dem sich sowohl die Aufenthaltsdauer in Vorarlberg als auch die Deutschkenntnisse positiv auf das Punktesystem bei der Wohnungsvergabe auswirken. Da werden Sprachkenntnisse im A2-Bereich gefordert. Schon während den Verhandlungen haben wir Kontakt zum Gemeindeverband aufgenommen, weil die Umsetzung ganz eng mit den Gemeinden ablaufen wird.

Kritiker dieses Systems bemängeln, es verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und sei nicht so einfach rechtlich umsetzbar.

Bitschi: Ich bin der Meinung, dass es rechtlich einfach umsetzbar ist, denn wir behandeln alle gleich. Jeder, der sich integriert und die deutsche Sprache auf einem geringen Niveau beherrscht, erhält diese Leistung.

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Bitschi sieht die Änderungen bei der Wohnungsvergabe für rechtlich einfach umsetzbar. Hartinger

In das Verkehrsressort, das in Ihrer Zuständigkeit liegt, fallen große Projekte wie die S18, der Stadttunnel Feldkirch und die Unterflur-Bahntrasse in Bregenz. Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie in dieser Legislaturperiode einen großen Schritt Richtung Umsetzung gehen können?

Bitschi: Ich bin guter Dinge, dass wir bei diesen Projekten in den Umsetzungsmodus kommen. Den Stadttunnel werden wir komplett umsetzen und nicht, wie manche Möchtegern-Experten sagen, einen Ast weglassen. Ich bin optimistisch, dass wir auch bei der S18 weiter kommen, wenn in Wien neue Menschen für die Infrastruktur zuständig sind. Wir möchten die nächsten Monate nutzen, um die Sachen im Detail zu prüfen und danach bin positiv, dass 2025 das Jahr der Umsetzung wird.

In der Steiermark steht die nächste Landtagswahl an. Wie sehen Sie die Chancen, dass die FPÖ bald in einem fünften Bundesland in der Regierung sitzt?

Bitschi: Ich bin guter Dinge, dass die grüne Mark deutliche blaue Züge annimmt und wir im Idealfall sogar stärkste Partei werden. Es soll ja auch schon wieder gepackelt werden zwischen ÖVP und SPÖ. Das sehe ich als demokratiepolitisch schwierig, wenn man vor der Wahl schon sagt, wen man alles ausschließt. Mario Kunasek macht einen hervorragenden Wahlkampf und ich bin optimistisch, dass das die fünfte Landesregierung wird, in der die Freiheitlichen dann auch das Zepter übernehmen.

zur person

Christof Bitschi (*1991 in Bludenz) ist in Brand aufgewachsen und ging dort als Ortsparteiobmann der FPÖ seine ersten politischen Schritte. Seit 2014 ist Bitschi für die Freiheitlichen im Landtag, seit 2018 ist er Landesparteiobmann. Bei der Landtagswahl 2024 führte er die FPÖ zu ihrem stärksten Ergebnis in Vorarlberg (28 Prozent) und ist als Landesstatthalter Teil der neu gebildeten ÖVP-FPÖ-Landesregierung.