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“Die Gastronomie ist auch ein Lebensraum”

14.03.2024 • 20:00 Uhr
"Die Gastronomie ist auch ein Lebensraum"

Mike P. Pansi, Vorarlbergs Fachgruppenobmann der Gastronomie und Präsident des Verbands der Köche Österreichs, über Herausforderungen und Entwicklungen in der Branche.

Herr Pansi, ganz allgemein gefragt: Wie geht es der Vorarlberger Gastronomie?

Mike P. Pansi: Durchwachsen – von einem Ende der Skala bis zum anderen. In den städtischen Bereichen und den Skiorten läuft es sehr gut und mangelt nicht an Gästen. Ort- und Talschaften aber, die nicht direkt mit Hotellerie und Wintertourismus verbunden sind, kämpfen derzeit. Die Herausforderungen wie Kosten, Personal und so weiter bestehen aber für alle.

Stichwort Herausforderung: In den letzten Monaten hatte die Branche im Land mit vielen Schließungen und Konkursen zu kämpfen.

Pansi: Ja, leider. Die kann man aber nicht alle über einen Kamm scheren, denn die Gründe sind mannigfaltig. Da wären natürlich die Krisen der letzten Jahre, wo wir praktisch von einem Unglück ins nächste geschlittert sind. Es gab keine Zeit, einmal durchzuschnaufen und sich wieder zu sammeln. Energiekosten, Mitarbeiterkosten, alles sind Faktoren, zumal die Gastronomie eine sehr personalintensive Branche ist. Die Gewinnspannen sind zudem sehr niedrig geworden. Viele denken, dass man mit Essen und Trinken zwangsläufig gutes Geld verdient, das ist aber nicht der Fall. Außerdem sind die Mieten für Gastronomiebetriebe sehr hoch. Das bringt viele an ihre Grenzen.

Wie sieht es mit der Personalsituation aus? Diese war in den letzten Jahren recht prekär.

Pansi: Sie hat sich leider auch noch nicht wesentlich verbessert. Auch hier gibt es mehrere Faktoren. Zum einen bilden wir unser Personal wirklich bestens aus, es kann und lebt Dienstleis­tung mit Herzblut. Aber es ist dadurch auch in anderen Branchen sehr gefragt, wie etwa im Handel. Da gibt es eine starke Abwanderung, umgekehrt aber findet diese nicht statt, weil Personal aus anderen Branchen oft gar nicht stemmen kann, was in der Gastronomie verlangt wird. Und dann kommen natürlich noch die Arbeitszeiten hinzu. Man muss es aber einfach realistisch sehen: Es liegt in der Natur des Gastronomieberufs, dass man dann arbeitet, wenn andere frei haben. Das kann man auch nicht umkrempeln, denn dann sterben wir aus.

"Die Gastronomie ist auch ein Lebensraum"

Wie sehr merkt die Branche noch die Nachwirkungen der Pandemie?

Pansi: Sehr stark. Im Nachhinein ist man immer schlauer, aber es ist deutlich zu sehen, dass es ein Fehler war, eine ganze Branche als „Bauernopfer“ zu verwenden und de facto zu schließen. Wir mussten unsere ganze Produktion auf Null stellen. Irgendwann hieß es dann, „Fangt halt wieder an“, aber so leicht ging das natürlich nicht. Darunter leiden wir noch. Andererseits hat Covid viele Prozesse, die sowieso irgenwann gekommen wären, beschleunigt, nur hatten wir nicht die Gelegenheit, uns darauf einzurichten. Und dann kam natürlich auch gleich die nächste Krise mit dem Krieg. Inflation, Lebensmittelpreise und -verfügbarkeit, Energie, Pachtzins, alles hing daran. Und diese Kosten muss man eben auch auf den Verkaufspreis seiner Produkte umlegen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Da gibt es leider keine andere Möglichkeit.

Wo geben die Gäste noch gerne Geld aus?

Pansi: In Bereichen, wo wir authentisch sind, ein klares Konzept haben, die Qualität im Vordergrund steht und der Gast sich im Ambiente, mit dem Servicepersonal und der Küche wohlfühlt. Früher waren Top-Qualität und stete Verfügbarkeit selbstverständlich, heute nicht mehr überall. Wir haben es aber auch ein bisschen versäumt, die Wertigkeit unserer Dienstleistung an den Gast zu bringen. Man sieht immer nur das Schnitzel das verkauft wird, aber da ist ja noch viel mehr dahinter.

Apropos Schnitzel: Gibt’s eigentlich eine bestimmte Küche, die derzeit „im Trend“ ist?

Pansi: Das gibt es immer, ich sehe es aber sehr kritisch, jedem Trend nachzurennen. Ich bin der Meinung, dass wir stolz darauf sein dürfen und sollen, was wir in Österreich bzw. in Vorarlberg haben. Das müssen wir viel stärker inszenieren und leben, denn vor der internationalen Küche müssen wir uns nicht verstecken. Klar, ein Burger oder eine Bowl sind gut, aber am Ende des Tages erhält das unser System nicht. Was wir in Vorarlberg zu bieten haben, ist einzigartig. Diese Esskultur dürfen wir nicht hergeben. Es gilt eher, zu überlegen: Wie können wir innovative, neue Konzepte auf Basis unserer österreichischen Küche und Gastronomie leben? Es gibt spannende Ansätze, aber die Rahmenbedingungen fehlen noch.

Welche wären das?

Pansi: Viele! Einerseits das stärkere Bewusstsein der Gäste dafür, welches Juwel wir hier haben. Das müssen wir schaffen. Ein ganz großes Thema ist auch die Kostenstruktur: Wieso müssen Gastro-Pachten so hoch sein? Und warum gibt es keine Möglichkeit, gerade junge Gastronomen zumindest in den ersten Jahren zu fördern? Es muss auch wieder erkannt werden, wie wichtig das klassische Wirtshaus für Gemeinden, Städte, soziales Miteinander ist. Wir müssen die Vereine wieder in die Wirtshäuser bringen. Flexiblerer Umgang mit der Personalsituation wäre auch gut. Wir haben viele Spitzen wie Hochzeiten, Feiern und so weiter, für die wir mehr Personal brauchen, da fände ich etwa die Möglichkeit eines Dienstleis­tungsschecks gut: Ich als Gastronom kaufe quasi fertig versteuerte Dienststunden, und wenn ich einen Abend lang einen zusätzlichen Mitarbeiter brauche, bekommt er diese als Scheck, netto für netto. Und: Es braucht eine faire Gastronomie.

"Die Gastronomie ist auch ein Lebensraum"

Das bedeutet…?

Pansi: Bewusstsein schaffen. Wir arbeiten gerne viel, wir arbeiten gerne auch am Sonntag, aber wenn ich meinen Mitarbeitern da einen Zuschlag bezahlen soll, wird es sich eben auch auf die Preise auswirken. Und es ist Zeit für mehr Wertschätzung. Wenn ich sehe, wie teilweise mit Servicemitarbeitern umgegangen wird, auch seitens der Gäste, stellt es mir die Haare auf. Man müsste einmal aufzeigen, was es hieße, wenn es keine Gastro mehr gäbe. Gastronomie ist nicht nur das Schnitzel, Gastronomie ist auch ein Lebensraum. Wir gestalten diesen, und jeder von uns ist auch Gast. Unseren Nachwuchs dürfen wir auch nicht vergessen: In diesen muss bedingungslos investiert werden.

Heuer kehrt auch der Guide Michelin zurück nach Österreich. Was bedeutet das für Vorarlberg?

Pansi: Es ist eine Riesenchance. Der Guide Michelin bringt Sichtbarkeit und Gäste. Nicht nur für Sternelokale. Wenn jemand ein paar Tage in Vorarl­berg verbringt, um in einem besternten Restaurant essen zu gehen, wird er auch andere Lokale besuchen wollen, wenn er schon da ist, wird die regionale Küche probieren wollen. Und dann liegt es an uns, ihm auch die perfekten Kässpätzle zu servieren.

Ihr Anliegen für die Vorarlberger Gastronomie?

Pansi: Dass es auch wieder eine positive Sicht gibt. Es ist nicht alles so schlecht, wie es ­dargestellt wird. Das finde ich schade. Denn: Ja, wir haben ­Herausforderungen, ja, wir haben gewisse Probleme, aber es gibt auch so viel Gutes in unserer Branche. Wir in Vorarlberg krempeln die Ärmel hoch, wir stellen uns unseren Herausforderungen. Wir haben großartige Traditionen, sind aber auch innovativ.